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Eichel klopft Kollegen weich

EU-Finanzminister lockern Stabilitätspakt - Kritik von allen Seiten

Brüssel (dpa). Defizitsünder Deutschland geht in der Europäischen Union für seine Schuldenpolitik weiter straffrei aus. Die Kosten der deutschen Einheit und die milliardenschweren Nettozahlungen in die EU-Kasse gelten künftig als mildernde Umstände beim Verstoß gegen den Euro-Stabilitätspakt.
Zufrieden mit dem Brüsseler Ergebnis: Hans Eichel.

Auf diesen Kompromiss haben sich die EU-Finanzminister in der Nacht zum Montag in Brüssel verständigt. In einer knapp zwölfstündigen Marathonsitzung drückte der zeitweise isolierte Bundesfinanzminister Hans Eichel seine Forderungen gegen massiven Widerstand von EU-Partnern durch. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Bundesbank kritisierten den Kompromiss scharf als Schwächung des Paktes.
Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union wollen den Kompromiss auf dem heute beginnenden zweitägigen Gipfeltreffen billigen. Bundeskanzler Gerhard Schröder nannte die Reform in Berlin ein gutes Ergebnis.
Deutschlands Wirtschaft und Opposition attackierten den Kompromiss hingegen heftig. Die Wirtschaft sprach von einem »Rückschritt« und forderte die Staats- und Regierungschefs der EU auf, den Kompromiss wieder zu kippen. Einer der Väter des Paktes, der frühere CSU-Finanzminister Theo Waigel, sagte: »Das ist ein schlechter Kompromiss, der eingegangen wurde, um endlich Ruhe zu haben.« Der Bielefelder CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok befürchtet negative Auswirkungen in den nächsten zwei, drei Jahren.
Deutschland hat die Höchstgrenze der Neuverschuldung von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts seit 2002 drei Mal hintereinander überschritten. Eichel bekräftigte, in diesem Jahr - wie zugesichert - das Etatdefizit wieder unter drei Prozent drücken zu wollen.
EZB und die Bundesbank zeigten sich »ernsthaft besorgt« über die Änderungen. »Es muss verhindert werden, dass Änderungen beim Defizitverfahren das Vertrauen in den EU-Finanzrahmen und in die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen der Euro-Zone erschüttern«, schrieb die EZB.
Eine entscheidende Rolle bei den Verhandlungen kam dem amtierenden EU-Ratspräsidenten, Luxemburgs Regierungschef und Finanzminister Jean-Claude Juncker, zu. Er bot die Formulierung an, dass Ausgaben für die »Vereinigung Europas« bei der Beurteilung von Defizitsündern berücksichtigt werden können, wenn die Kosten »einen negativen Effekt auf das Wachstum und die Haushaltslasten eines Mitgliedstaates haben«.
S. 4: Hintergrund
und Leitartikel

Artikel vom 22.03.2005