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Sozialdumping abwenden

EU-Ratspräsident Juncker will Dienstleistungsrichtlinie entschärfen

Brüssel (dpa/Reuters). Die EU-Spitze reagiert auf Massenproteste gegen ihre Wirtschaftspläne und lenkt im Streit um die geplante Dienstleistungs-Richtlinie ein.

Er sage Ja zur Liberalisierung, aber Nein zum Sozialdumping, betonte der EU-Ratsvorsitzende, Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker.
Vor dem Beginn des Brüsseler EU-Gipfels versprach Kommissionspräsident José Manuel Barroso gestern, seine Behörde werde Nachbesserungen an dem EU- Gesetz zur Öffnung des Dienstleistungsmarktes mittragen.
Vor allem Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Staatspräsident Jacques Chirac fordern entscheidende Änderungen an der Richtlinie, die der frühere EU-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein ausgearbeitet hatte. Offen blieb zunächst, ob der Gipfel dabei das Prinzip des Herkunftslandes in Frage stellen würde. Gewerkschafter sehen darin die größte Gefahr für einen Sozialabbau. Der Entwurf der Richtlinie sieht vor, dass Dienstleister bei grenzüberschreitenden Angeboten weitgehend an die Vorschriften ihres Herkunftslandes gebunden sind.
»Man kann nicht die niedrigsten Standards eines Landes nehmen und sie über die gesamte EU ausbreiten«, sagte der Generalsektretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, John Monks. Das wäre wie die Einführung einer »Billigflagge« für Dienstleister und würde alte gegen neue EU-Staaten ausspielen. Lieber sollten die Regeln des Landes angewendet werden, in dem die Dienstleistung erbracht wird. »Das kann geändert werden«, meinte der Gewerkschafter. Er befürworte einen völligen Neuanfang für die Richtlinie.
Wie der Gewerkschafter Monks forderte auch Ratspräsident Juncker mehr Klarheit in den geplanten Regelungen. Seine Regierung könne der Vorlage so nicht zustimmen, sagte Juncker. Die Liberalisierung dürfe nicht zu Lasten der Arbeitnehmer oder kleinerer Betriebe gehen: »Ich glaube, das ist machbar.«
Kommissionspräsident Barroso betonte, sämtliche Änderungen lägen nun in den Händen der EU- Staaten und des Europäischen Parlaments.
EU-Industriekommissar Günter Verheugen versicherte in Brüssel, »dass es keine Dienstleistungsrichtlinie geben wird, die in irgendeiner Form zu Lohndumping, zu Sozialdumping, zu Qualitätsdumping oder zum Verlust von irgendwelchen Rechten der Betroffenen führen wird.« Der Gesetzentwurf ist Teil der so genannten Lissabon-Strategie für mehr Wachstum und Beschäftigung. Diese bekam bei dem Treffen vor dem EU-Frühjahrsgipfel die grundsätzliche Unterstützung von Gewerkschaften wie Unternehmern.
Die deutschen Unions-Abgeordneten im Europa-Parlament streiten über einen Rückzug der umstrittenen EU-Dienstleistungsrichtlinie. Der als einflussreich geltende Außen- und Verfassungsexperte, der Bielefelder CDU-Abgeordnete Elmar Brok, forderte die EU-Kommission gestern auf, die von Gewerkschaften abgelehnte Richtlinie zurückzuziehen. Damit könne eine Zustimmung der französischen Bevölkerung zur EU-Verfassung Ende Mai erleichtert werden, sagte Brok vor dem EU-Gipfel. Führende Fraktionskollegen wiesen den Vorstoß umgehend zurück. Zwar gebe es Grund zur Sorge über das Referendum in Frankreich, sagte der CDU/CSU-Gruppenchef, Hartmut Nassauer (CDU). Die Unionsabgeordneten unterstützten aber grundsätzlich die Dienstleistungsrichtlinie, auch wenn sie Änderungen durchsetzen wollten.

Artikel vom 23.03.2005