21.03.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Zweifel am Reformwillen der Türkei

SPD-Politiker stellen Start der EU-Beitrittsverhandlungen in Frage

Berlin (ddp). In der SPD mehren sich Zweifel an dem geplanten Termin für Beitrittsverhandlungen der Europäischen Union mit der Türkei. »Wenn das Land in seinem Reformprogramm bis Oktober weiter zurückfällt, müssen wir den Mut haben, die Verhandlungen zu verschieben«, sagte SPD-Europaexperte Günter Gloser.

Es sei zu befürchten, »dass sich die Türkei nach einer Reihe von Reformen in einer labilen Phase der Erschöpfung befindet«.
Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende der Sozialdemokraten im EU-Parlament, Martin Schulz: »Wir müssen klar sagen: Wenn die Türkei Verhandlungen wünscht, muss noch einiges passieren.« Schulz fügte hinzu: »Im Moment sehe ich da keine Bewegung. Wenn das so bleibt, gibt es keinen Beginn der Beitrittsverhandlungen.«
Bisher hatten sich die Sozialdemokraten uneingeschränkt für die baldigen Verhandlungen ausgesprochen. Anlass der Zweifel sind die gewalttätigen Ausschreitungen von Istanbuler Polizeikräften gegen Demonstrantinnen am Weltfrauentag. »Wenn strenge Maßstäbe an Kroatien angelegt werden, muss das auch für die Türkei gelten«, sagte Schulz. Gloser forderte einen »intensiven Dialog« mit dem Land über die rechtstaatlichen Anforderungen des EU-Raums.
CSU-Landesgruppenchef Michael Glos begrüßte die Äußerungen und forderte die Bundesregierung auf, ihre positive Haltung zum türkischen EU-Beitritt zu überdenken. Die Türkei habe ihre Bemühungen um eine Erfüllung der EU-Standards »just in dem Moment eingestellt, in dem der EU-Beschluss zur Aufnahme von Verhandlungen gefasst wurde«, betonte Glos.
Glos warf Rot-Grün gleichzeitig vor, bisher geschwiegen zu haben, statt das Vorgehen der »türkischen Staatsmacht« zu kritisieren. »Spätestens seit der gewaltsamen Niederschlagung einer Frauendemonstration durch türkische Polizeikräfte hätte die rot-grüne Koalition in Berlin ihre positive Haltung zum EU-Beitritt der Türkei überdenken sollen.
Auch Schulz kritisierte, dass es seit dem EU-Beschluss vor drei Monaten keinerlei Fortschritt gebe. Er forderte den türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan auf, die Hindernisse auszuräumen. »Der Zug nach Europa droht ins Stocken zu geraten. Erdogan muss dringend etwas tun, wenn er dies ändern will«, sagte der SPD-Politiker.
Die jüngsten Entwicklungen in der Türkei bezeichnete er als »Besorgnis erregend«. Mit Blick auf das harte Vorgehen der Polizei gegen eine Frauendemonstration und die anschließende harsche Reaktion Ankaras auf Kritik aus der EU betonte er, dies sei »gegen jede Gepflogenheit und so nicht hinnehmbar«.
Christ- und Sozialdemokraten haben zusammen eine Mehrheit in der Straßburger Volksvertretung, die den Beitritt billigen muss. Dieser könne nicht erfolgen, wenn die Türkei ihre Hausaufgaben nicht erledige, unterstrich Schulz.

Artikel vom 21.03.2005