24.03.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Ist er denn selbst so ein berühmter Maler?«, fragt Esquivel dazwischen.
»Nein, doch er ist immerhin Träger des Namens der bekannten Meisterfamilie hier. Sie ist wirklich einmal berühmt gewesen. Aber vom großen Giacomo, der schon längst gestorben ist, existiert, wie ich herausgefunden habe, nur eine Hand voll Gemälde, die er allein gemalt hat. Die allerdings sind hinreißend. Sie leuchten heraus wie Gold- zwischen Kupfermünzen. Ich würde sie sofort erkennen, auch wenn sie nicht signiert sind. Doch die meisten Werke hat der große Giacomo in seiner Werkstatt seine talentlosen vier Söhne ausführen lassen, die immer wieder dieselben Töpfe, Gesichter und Ziegen in die mächtigen Leinwände hineingepinselt haben.«
»Und am Ende springt dann so ein Schleimer herum«, brummt Esquivel missmutig, »und wir werden auch noch von diesem Kirchenmann bis hierher geschickt.«
»Ich habe es vom ersten Moment an gerochen, dass er uns reinlegen wollte«, krächzt Rinaldo. »Ich verstehe nichts von Malerei, aber bevor ich diese schwarzen Schinken anschaue, schnuppere ich lieber an den dicken Schenkeln der Weiber von Rubens.«
»Schnuppere jetzt lieber an deinem Teller!«, weise ich ihn lachend zurecht. »Wir haben hier die besten Fische serviert bekommen, die es gibt. In dieser Hinsicht überlassen uns die Venezianer ihren besten Fang.«

Ca Fusina, 20. April 1649

U
nser kleiner Trupp ist in fröhlicher Stimmung. Gerade haben meine Männer das Gepäck an das Ufer gehievt, während ich den Schiffer entlohne, der uns auf seiner Barke auf der Brenta von der Flusslände in Padua bis hinunter zur Einmündung des Flusses in die Lagune geschleust hat. Es war ein ungewohnter Genuss, teilweise schneller als im Pferdetrab, aber in ruhigem Gleiten auf dem Wasser voranzukommen. So eine Meerverbindung brauchten wir für Madrid! Da wir die Strecke in wenigen Stunden zurückgelegt haben, bleiben uns einige helle Abendstunden. Wasser und Wein stehen schon auf dem Tisch. Gespannt warten wir auf das vom Wirt gepriesene Reisgericht, das eine Spezialität dieser Region sein soll.
Die Nähe zu dem großen Ziel lässt mich alle Reisemüdigkeit vergessen und erwartungsvoll geradeaus über die Wasserfläche der Lagune von Venedig vor mir schauen. In Sichtweite, fünf Meilen nach Osten, ragt wie ein flacher goldener Kronreif die Stadt Venedig aus dem Spiegel des Meeres. Qué maravilla! Welches Wunder der Bautechnik! Es ist das zweite Mal in meinem Leben, dass ich mich dieses Anblicks erfreue. Die fernen Dächer und Kirchtürme glänzen im goldenen Abendlicht. Eine Mischung von Bewunderung und Befremden packt mich, wenn ich an den Pomp und die Verschwendung denke, die in diesem merkwürdigen Gemeinwesen die kalte Machtpolitik verbrämen. Länder und Meere beherrscht diese teuer geschmückte Metropolis mittels der von ihr rücksichtslos zusammengerafften Reichtümer. Bis hin zu den Kontoren aller wichtigen Küstenstädte rund um das Mittelmeer erstreckt sich der fette Besitz der habgierigen Republik Venedigs. Ihren Reichtum hat sie durch die Jahrhunderte hindurch vor Feinden geschützt und rückerobert durch eine Flotte von kampferprobten Galeeren.
Ja, ich spüre Sehnsucht nach dem Glanz und der Raffinesse dieses Ortes. Hier gibt es viel von dem, was ich für meinen König suche. Hier warten orientalischer Luxus und schmeichelhafte Offerten auf alle Gäste, gerade auch auf einen Kundschafter der Katholischen Majestät von Spanien. Und wer weiß, welche Verlockungen die Serenissima noch für mich bereit hält É?
Ich gebe zu, dass die Kunde von den außerordentlichen Qualitäten der venezianischen Kurtisanen lange schon bis nach Madrid gedrungen ist. Ihr legendärer Sinn für Kunst und Poesie steigert mein Interesse daran, ihre Gunst zu erwerben. War ich in Genua noch zu sehr beschäftigt und darauf bedacht, meine Gesundheit wiederherzustellen, bin ich doch fest entschlossen, Venedig mit allen Sinnen zu genießen. ÝHäuser der DuldungÜ soll es ja genügend geben.
Doch ist nicht ganz Venedig selbst ein verführerisches Weib? Haben nicht selbst die Maler sie oft als verlockend, glanzvoll, kalt und berechnend dargestellt? Und trägt nicht in den wildesten Tagen des Carnevale sogar der päpstliche Nuntius einen Domino É?
Wie auch beim letzten Mal, vor gut zwanzig Jahren, erwartet mich auch diesmal der königliche Gesandte in seinem Palazzo. Morgen werden wir bei ihm unser Quartier beziehen. Morgen werden uns auch die Gondeln hinüberbringen, hinüber zur Insel, eingefasst von trügerischen Reflexen und Untiefen, entlang schwankender Palisaden aus Stangen und Flechtwerk, wo noch in der untergehenden Sonne Männer knietief im Schlamm und Wasser nach Schalentieren stochern É
Venedig, 21. April 1649

G
leich einer prächtig bunten Bildszene entsteigen wir den beiden Gondeln: der schlaksige Esquivel als der Längste, der meine Reisetruhe manövriert, der ihm ungeschickt dabei behilfliche, sich gerade niederkniende Rinaldo, Juan und ich. Während ein erdbrauner Kittel und ausgebleichte Kniehosen Esquivel bekleiden, zieren unseren Zwerg rote Strümpfe und ein rotes Samtbarett. Die dunkle Silhouette des schwarz gekleideten Juan bildet den Hintergrund für meinen wohlberechneten Auftritt in dunkelgrünem Wams, ockergelber Bundhose und weißen Strümpfen: Das könnte Paolo Veronese so gemalt haben.
Wir befinden uns im Stadtteil Cannaregio, am Ende eines kleinen Stichkanals, der kurz nach unserer Einfahrt in den Canale Grande, gleich nach dem Passieren der Scalzi-Brücke, nach links abzweigt. Der Gondoliere ist schräg gegenüber auf einen Hauseingang zugeeilt und hat die Wachen verständigt, woraufhin sich das schwere Wassertor des wuchtigen Palazzo öffnet. Mehrere Diener eilen heraus und nehmen sich unseres Gepäcks an. Gleich darauf erscheint ein Zeremonienmeister, der uns noch vor dem Tor in Empfang nimmt. Dann sind es für mich nur noch wenige Schritte, bis ich den Palazzo Zeno betrete, Ort der Gesandtschaft des Königs von Spanien. Von hier erwarte ich mir eine wichtige Unterstützung meiner Schatzsuche. An dem Fleck Italiens, wo es die großartigsten Bilder zu finden gibt, agiert ein spanischer Edelmann mit den allerbesten Kontakten. Ich werde Juan als Adjutanten bei der Präsentation des mitgebrachten Bildes und als optische Verstärkung meines Auftritts zur Begrüßung mitnehmen.
Hinter mir fällt das Tor krachend ins Schloss. Meine Augen gewöhnen sich langsam an das matte Licht. Aus dem schweren Gewölbe des Eingangsraums führt eine breite Steintreppe in das Obergeschoss und darüber in ein weiteres Piano nobile mit Gästeappartements. Die Diener eilen mit dem Gepäck voraus, während ich gesetzten Schrittes dem mich geleitenden Protokollbeamten folge und zwischen abwechslungsreichem Stuckdekor die Wandfresken und Ölgemälde betrachte, an denen entlang wir emporsteigen.
Kurz darauf empfangen mich in dem vornehmen Gastzimmer angenehme Kühle und frische Meeresluft. Neugierig trete ich vor den dort hängenden prächtigen Spiegel, in dem ich Haare und Kleidung mustern und zurechtzupfen kann. Es ist der größte und klarste Spiegel, den ich seit dem Verlassen meines Ateliers in Madrid zu Gesicht bekomme. Kein Zweifel, dieses Juwel ist sicher in Murano gefertigt worden!
Ich trete etwas näher heran. Sorgenfalten und ein mir bisher unbekannter, erschreckend müder Ausdruck in meinem von der Sonne gebräunten Gesicht blicken mir entgegen. Es wird Zeit, dass ich mich ein paar Tage verwöhnen lasse.
Wenig später werde ich in einen hellen Empfangsraum mit hohen spitzbogigen Fenstern geführt, in dem bereits mehrere dunkel gekleidete Herren versammelt sind; einige weitere treten von mehreren Seiten gerade ein. Schlurfende Schritte und das Geräusch eines nur mühsam unterdrückten heftigen Hustens lassen mich besorgt zu dem rückwärtigen Eingang blicken. Dort stützen zwei Diener gerade einen sich nur langsam bewegenden, großen wie korpulenten, schmalköpfigen älteren Herrn. Nur mühsam kommt er tastenden Schrittes vorwärts. Der kostbare, golddurchwirkte Besatz seines Wamses und die prächtigen vergoldeten Knöpfe darauf weisen ihn sichtbar als den Repräsentanten unseres Königs aus. Dies also ist der Marqués de la Fuente, von dem ich gehört, den ich aber noch nie zuvor gesehen habe. Ein Sessel wird ihm untergeschoben, und er winkt mich heran, da ich achtungsvoll Distanz gehalten habe.
»Seien Sie willkommen in Venedig!«, sagt der Gesandte mit schwacher Stimme.
Ich verneige mich tief.
»Willkommen als Beauftragter unseres Königs«, setzt er hinzu und sieht mich aus seinen graublauen Augen wohlwollend an, »willkommen als spanischer Landsmann, willkommen als hoch geschätzter Maler! Seien Sie gewiss, Señor Velázquez, dass Ihr Einsatz für den Ruhm unseres Königs von mir und allen meinen Leuten geschätzt wird! Um dies auszudrücken und Sie unserer Hilfe zu versichern, sind wir hier zu Ihrer Begrüßung zusammengekommen.«
Der herzliche Beifall besagt mir, dass hier eine andere Stimmung herrscht als bei den Höflingen des Herzogs von Nájera. Während zwei Diener mit Tabletts und Gläsern herantreten, ergreife ich die Hand des Marqués.

(wird fortgesetzt)

Artikel vom 24.03.2005