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Die lange Zeit flache Landschaft wurde erst kurz vor der Festung von Maróstica hügelig. Von dort her erreichten wir das weite, bereits tief ausgeschnittene Ufer der Brenta und blickten auf die anmutige Stadt Bassano, die sich gegenüber von uns am steilen Uferrand hinaufzog. Allseitig von kräftigen Mauern umgeben und einem Kastell bekrönt, schien sie am Fuße des mächtigen Bergmassivs des Monte Grappa kunstvoll emporzuwachsen.
Wir zeigen unsere Papiere, führen unsere Pferde durch das Stadttor und befinden uns nach wenigen Schritten in einem herrlichen Saal über dem wild strömenden Fluss Brenta, auf der breiten überdachten Brücke des Baumeisters Palladio. Hier will ich mich mitsamt meinen Begleitern zur Mittagsstunde mit einem hilfsbereiten Malerkollegen treffen, dessen Dienste ich mich in Brescia mithilfe eines Geistlichen versichert hatte. Rinaldo weiß inzwischen, was ihn erwartet, sollte er sich wieder ungebührlich benehmen É
Ich muss mich nicht lange umsehen. Schon von weitem erblicke ich ein beleibtes Männlein, das sich mehrfach verbeugend und den Hut schwenkend auf uns zuhält. Er trägt ein teures Lederwams und hält, zeptergleich, in der linken Hand einen Malstock. Als er uns gegenübersteht, richtet er seine Augen zum Himmel oder genauer in die Dachbalken unserer Brücke, legt die Hände auf die Brust wie ein Heiliger, verneigt sich tief und sinkt auf die Knie.
»Da Ponte, Bassano«, sagt er schluchzend.
Dass er auf der Brücke kniet und Ýda PonteÜ sagt, ist natürlich albern. Mit einem halben Blick zur Seite registriere ich Juans angewidertes Mienenspiel und verbeiße mir ein Lachen.
»Diego Velázquez aus Sevilla«, stelle ich mich leutselig vor, »welche Ehre, einem Maler aus der großen Familie der Bassani zu begegnen, deren Werke auch mein König zu schätzen weiß!«
»Mein Name ist Giacomo Bassano: Ich bin ein wirkliches Mitglied der großen Malersippe und führe diese edle Tradition weiter!«, beteuert mit schmeichlerischem Lächeln das Männlein und deutet mit dem Malstock in seiner ausgestreckten Rechten zur Stadt hinüber. »Ihr werdet staunen. Der Herr Domkapitular in Brescia hat Euch empfohlen, und ich darf Euch ankündigen, dass wir miteinander einige Malereien von Rang besichtigen werden É Ich darf bitten!«
Damit geht er uns voraus. Nach dem Überqueren der Brücke führt er uns einen gepflasterten, steilen Weg hinauf. Wir gehen über einen prächtigen Marktplatz mit bunt bemalten mehrstöckigen Häusern.
Vor dem ansehnlichsten macht unser nun kräftig schnaufender Maler Halt und breitet die Arme aus: »Dieses größte Bassano-Gemälde würde ich Euch gern mitgeben, um Eurem großen König die Ehre zu erweisen, aber es übersteigt meine Möglichkeiten. Es ist ein Fresko vom Maler Giacomo Bassano, meinem Großvater, das hier seinen unverrückbaren Platz hat.«
Er schreitet weiter voran und weist uns hinüber zu einem Franziskanerkloster, wo wir die Pferde unterstellen können. Während wir langsam hinaufgehen, höre ich gedämpft hinter mir die knurrende Stimme von Rinaldo: »Ein scheußlicher Kerl. Nehmt Euch in Acht vor den fetten Kleinen, die keine richtigen Zwerge sind!«
Wir dürfen einen Blick in das Refektorium tun und in der Kirche die Grabtafel und das Epitaph des Francesco da Ponte, seines Großonkels, sehen. Anschließend schleppt er uns in den nahen Dom, wo er uns auf ein Weihnachtsbild und eine Darbringung im Tempel als herausragende Altargemälde weist.
Ich widme beiden Bildern aufmerksame Betrachtung. »Welch schöne Malerei!«, lobe ich sie.
»Mein Urgroßvater und mein Großonkel, die zusammen diese Darstellungen schufen, würden diese gewiss am liebsten in der Hut einer königlichen Sammlung wiederfinden. Aber sie können ihre Stimme nicht mehr erheben. Selbst wenn ich sehr gute Kopien liefern würde, müsste ich besondere Umstände schaffen, um mit dem Domkapitel in Verhandlung treten zu können.«
»Was meint Ihr damit?«, frage ich ihn.
Er dreht den Kopf schief zu mir hinauf und setzt ein falsches Lächeln auf: »Sagen wir vorab fünftausend Scudi für alles. Meine Kopien, immerhin signierte Werke eines Giacomo Bassano, würde ich kaum berechnen, aber ich könnte eine noble Zuwendung an das Domkapitel machen.«
Ich muss mehrmals trocken schlucken. Dann wende ich mich höflich an Giacomo: »Für eine so vage Chance kann ich kein Geld versprechen. Wir sollten einen Überblick gewinnen über das, was hier noch Bedeutendes zu sehen ist.«
»Dazu kann ich Euch morgen ausgiebig verhelfen«, versichert er mir.
Nach unserem Besuch in einem der bemalten Palazzi und einem ausgiebigen Aufenthalt in den Kirchen San Giovanni und San Donato gelangen wir in die große Werkstatt unseres Malers, die er auf dem Familiengrund nahe an der Brentabrücke betreibt.
Giacomo rückt eine wandhohe Leinwand auf einem Spannrahmen zur Seite, unter dem ein ebenso großes, aber deutlich angeschnittenes und übermaltes Bildfragment mit mehreren großen, kräftig gemalten Tieren und darüber aufsteigenden halb nackten Menschenfiguren herauskommt. Erwartungsvoll sieht er mich an: »Vielleicht ahnt Ihr, was das ist É«
»Wohl ein Teil einer Paradiesdarstellung«, antworte ich ihm.
»Ja, das Herrlichste überhaupt. Der beste Teil des größten Paradiesgemäldes, das je ein Maler versucht hat. Natürlich unverkäuflich É«, sagt er voll Stolz. »Das Ganze bestand aus zwanzig zusammengenähten Leinwandbahnen. Den unteren Teil hat mein Großonkel, den oberen Paolo Veronese gemalt.«
Daraufhin rückt er eine Stehleiter heran, klettert behände hinauf, dreht sich zu uns und berührt mit seinem Malstock mehrere der Figuren: »Das war im Dogenpalast zu Venedig, an der Wand der Sala del Maggior Consiglio«, ruft er voller Pathos, »bevor Tintoretto die langweilige Arbeit seiner Werkstatt mit einer Intrige dort durchgesetzt hat. Sieben Meter hoch und zweiundzwanzig breit war dieses Werk. Hat jemals ein Maler freier und großzügiger gemalt?«
»Ich widerspreche Euch nicht. Wenige und sichere Striche in leuchtenden Farben É Das gefällt mir. Aber wenn Ihr es nicht verkauft?«
»Ich würde es Eurem König schenken. Ich bin durch meine Malerei wohlhabend genug. Aber meine Verwandten müssten abgefunden werden.«
»Und das hieße?«
»Sicher das Zwei- bis Dreifache dessen, was ich vorher genannt habe.«
Diesmal bin ich schon auf seine Dreistigkeit vorbereitet und lächle: »Ohne zu zögern wäre ich mit Euch handelseinig, wenn es nicht zwei, sondern zweiundzwanzig Meter wären.«
Doch Giacomo ist bei aller seiner Unverschämtheit wohl Widerstand gewohnt und steigt ungerührt von seinem Podest herab, um seinen letzten Trumpf aus der Tasche zu ziehen: »Seht, das Bild des Vornehmsten unserer Familie!«, und zieht mit schnellem Griff einen Vorhang weg. Andächtig zeigt er auf das Gemälde: »Sein Selbstbildnis! Mein großer Großonkel!«
»Was soll es kosten?«
»Das ist genauso viel wert wie das Paradies! Für den König würde ich sogar auf meinen Anteil an diesem Familienbesitz verzichten. Rund fünfhundert Scudi käme ich Euch entgegen. Aber ich müsste erst die anderen neun überreden. Seht Ihr die Signatur?«
Ich bücke mich zur rechten unteren Bildecke hinunter und lese: Leander Eques. »Brillant, doch neu!«, sage ich frei heraus.
»Bei allen Heiligen, das ist nur der neue Firnis«, hält Giacomo vehement dagegen.
»Was heißt ÝEquesÜ?«, fragt Esquivel erstaunt.
»Ritter! Er wurde für seine Malerei geadelt. Das kommt nicht von ungefähr!«, posaunt Giacomo.
»Das ist hier in Venedig tatsächlich anders als bei uns in Spanien, wo Malerei ein Handwerk ist. Das müsste den Herzog von Nájera interessieren«, sage ich wie beiläufig zu Esquivel.
Plötzlich greift Giacomo mein Handgelenk. »Die Annalen wissen zu berichten, dass mein Onkel Leandro Bassano seine Schüler zum Vorkosten der Speisen anstellte und dass er seinen Degen auf einem Kissen voraustragen ließ, wenn er sich selbst in teurem Ornat in den Gassen Venedigs zeigte.«
»Oh, ich denke, Eure Erzählung ist es wert, dass ich sie unserem König berichte«, sage ich höflich, entwinde ihm mein Handgelenk und trete zur Seite, um wieder Distanz herzustellen.
»Ich hoffe, als abschreckendes Beispiel, Don Diego«, flüstert mir Juan in einem günstigen Augenblick zu.
Spätabends sitze ich mit meinen drei Begleitern in der hintersten Ecke der Trattoria San Bassiano. Wir versuchen gemeinsam bei Brentafisch und jungem Wein die ernüchternden Eindrücke des gestrigen und des heutigen Tages zu vergessen. Rinaldo hopst plötzlich vor unseren Tisch und imitiert vollendet die theatralische Gestik des rundlichen Giacomo, womit sich die ganze Anspannung in einem befreienden Gelächter löst. Als Rinaldo wieder kein Ende findet, gebe ich ihm ein Zeichen zum Innehalten.
»Lass es gut sein«, beschwichtige ich ihn schließlich, »am Ende sperren Sie dich wegen Beleidigung dieses schmierigen Vogels noch in ein Verlies. Doch merk dir seine komische Verbeugung.«
Daraufhin ergreift Juan das Wort. »Wenn ich so überlege, hing das Beste in den Kirchen. Aber was er uns dann in den Kapellen, Refektorien und Privatgemächern zeigte, wurde immer schlimmer. Und die Stücke, die er frisch hergerichtet hatte, standen in seinem Atelier und gehörten ihm angeblich nicht. Und diese wollte er Euch für schwindelerregende Preise verkaufen.«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 23.03.2005