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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Er meinte, der Religion den Garaus gemacht zu haben, als er Gott ins Reich der Phantasie verwies: Ludwig Feuerbach, Philosoph des 19. Jahrhunderts. Es sei kein Gott, glaubte er. Gott lebe nicht wirklich, sondern geistere nur in den Köpfen der Menschen herum. Sie hätten ihn erfunden. Denn ohne diese Idee könnten sie ihr eigenes Elend nicht aushalten.
In der Tat, Menschen sind unvollkommen, nicht dauernd glücklich, jedoch gefährdet, vergänglich, ständig vom Tode umzingelt. Der aber kann abwarten; denn er ist seiner Beute ja sicher. Die Menschen wünschten sich jedoch, daß es anders wäre, und solche Wünsche und Sehnsüchte würfen sie wie riesige Dias an den Himmel. Sie bildeten sich ein, Gott auf ihnen zu erkennen, der ja alle Vollkommenheiten besitzt und daran Anteil gibt. In Wahrheit handele es sich jedoch um eine Illusion. Die Menschen begegneten nur sich selber und ihren eigenen Träumen.
Ganz falsch liegt Feuerbach nicht. Der Gott, an den viele glauben möchten, ist solch ein Wunschgott. Er soll ihre Probleme lösen, lieber noch sie gleich von ihnen fernhalten, ihr Wohlbefinden steigern, ihr inneres Gleichgewicht stabilisieren, sie vor Unfall und Gefahren beschützen und vor Leid und Traurigkeit bewahren. Zumindest soll er in jeder Notlage sofort eingreifen und schnelle Abhilfe schaffen. Versagt er sich dem aber, dann kündigen auch sie ihm ihren Glauben auf.
Als Paulus seinen Philipperbrief schrieb, schmachtete er in einem Gefängnis. Vielleicht focht ihn das nicht minder an. Doch zugleich erklangen in seinem innerem Ohr auch ganz andere Töne: ein Choral, ein alter Hymnus, erst leise, wie von ferne, dann anschwellend und sich schließlich zu einem festlichen Jubel steigernd. Dieser beginnt so: »Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt« (Phil. 2, 6.7).
Vermutlich haben Feuerbach und seine Gefolgschaft dieses Lied nicht gekannt oder nicht verstanden. Denn es stellt die gängigen menschlichen Denkmuster über Gott völlig auf den Kopf. Alles, was sein ist, was man von ihm zu erkennen meint oder ihm zuschreibt, hat dieser Gottgleiche in Vollkommenheit. Er ist ganz oben, hat teil an Gottes Majestät und wird wie der Vater von Tausenden von Engeln angebetet und verehrt. Nichts beeinträchtigt das himmlische Glück, nichts stört diese himmlische Harmonie.
Doch gerade darauf verzichtet er, entsagt seiner göttlichen Glorie und begibt sich seiner Hoheit. Er hält nicht daran fest, Gott gleich zu sein, klammert sich nicht daran wie sich ein Räuber an seine Beute. In ihm, in Jesus Christus, wird Gott Mensch, einer unter vielen, verwechselbar, ohne sichtbaren Heiligenschein. Nicht einmal sein Name fällt. Er wird wie einer der vielen Namenlosen, die unter der Fron und Last des Daseins seufzen, Mächten ausgeliefert, derer sie nicht Herr werden können.
Das widerspricht allem Wunschdenken; darum kann es nicht erfunden sein. Es kommt dem, was Menschen von einem Gott erwarten, nicht im geringsten nahe. Denn ein Gott hat mächtig zu sein, imposant, beeindruckend, strahlend. Man möchte sich schließlich selber in seinem Glanze sonnen. Aber wo und wann hätte es das jemals gegeben, daß jemand auf die Macht, die er hat, verzichtet, die Würde, die er besitzt, ablegt und dafür nicht nur das Los eines Sklaven, sondern auch ein schmach- und qualvolles Sterben am Kreuz auf sich nimmt, und das auch noch freiwillig? Wo und wann hätte es das jemals gegeben, daß jemand von sich aus den Weg von oben nach unten geht und nicht umgekehrt?
Man kann dies Geheimnis nur anbeten oder kopfschüttelnd ablehnen. Man kann vor dieser Gestalt nur ehrfürchtig auf die Knie fallen oder muß ihr verständnislos den Rücken kehren. Ein Drittes scheint es nicht wirklich zu geben.

Artikel vom 19.03.2005