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Leiartikel
Visa-Affäre

Der Leitwolf der Grünen ist angezählt


Von Jürgen Liminski
Der Angstpegel steigt. Die Grünen werden nervös. Ihr Leitwolf ist angeschossen. Er droht zur Belastung zu werden.
Schon knurren einige Jungwölfe unruhig, bereit zum Sprung auf den Alten. Aber vor dem 22. Mai wird keiner die Zähne fletschen. Danach allerdings könnte es schnell gehen. Wenn Rot-Grün die Wahlen in Nordrhein-Westfalen verliert, dann wird Joseph Fischer dem Gemeinwohl des Bundesrudels geopfert werden. Er wird dann die Rolle des Sündenbocks zu spielen haben - und es wird seine letzte sein.
Wie es dann mit der Koalition weitergeht, ist völlig offen. Die Grünen haben keine andere Option als das Bündnis mit der SPD, für sie ist diese Koalition eine Schicksalsgemeinschaft. Die SPD allerdings kann noch auf eine große Koalition hoffen, müsste dann aber vermutlich in vorgezogene Neuwahlen einwilligen. Ungewiss ist, was dann mit Schröder wird.
Aber das sind Spekulationen. Der Ist-Stand heute summiert sich zu der Feststellung: Außenminister Fischer steckt tief in der Visa-Affäre. Er hat schon früh von den Auswüchsen gewusst, früher jedenfalls, als er bis jetzt öffentlich zugab, und er hat offensichtlich auch bewusst das Risiko in Kauf genommen, dass mit dem Ruf »Schleusen auf!« auch kriminelle Elemente ins Land einströmen würden.
Fischer hat die Last des Nachweises auf die Beamten abgewälzt, die schon aus Zeitgründen diese Aufgabe nicht bewältigen konnten. Über Fischers Motive kann man ebenfalls nur spekulieren.
Möglich, dass er der alten multikulturellen Utopie nachging und einfach nur Gesicht und Wesen der Republik verändern wollte, möglich auch, dass er die einströmenden Menschen als potenzielle Wähler für die Grünen sah, möglich auch, dass er sich gar nichts dachte und einfach nur treiben ließ, was seine Anhänger in der Partei sich ausgedacht hatten. Wie immer, im Interesse Deutschlands war das nicht.
Das aber muss das erste Kriterium für einen Außenminister sein. Fischer ist politisch schon jetzt eine Art Zombie. Er läuft noch, andere wären längst gestürzt worden.
In dieser Situation ist es um so verwunderlicher, dass ernstzunehmende Politiker in der SPD sagen, »die Rolle Fischers ist konstitutiv für diese Koalition« (Fraktionsvize Gernot Erler). Es hat noch nie eine Koalition gegeben, die ihr Schicksal an einen einzelnen Politiker gebunden hat. Was würde denn passieren, wenn Fischer einen Unfall hätte? Wäre Deutschland dann am Ende?
Solche Äußerungen offenbaren den Stand des rot-grünen Roulettes in Berlin: Rien ne va plus. Die Kugel rollt. Rot-Grün hat alles auf einen Mann gesetzt. Ohne Fischer ist das Modell Rot-Grün nicht zugkräftig, und die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Modell in den letzten Zügen liegt, war selten so groß wie heute. Oder sind solche Äußerungen schon erste Signale der SPD-Spitze auf der Suche nach neuen Partnern - ohne die Grünen aufzuschrecken?

Artikel vom 21.03.2005