17.03.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Mit Hippodrom und
Teufelsrad unterwegs

Schausteller-Dynastie feiert 150-jähriges Jubiläum

Von Burgit Hörttrich
Bielefeld (WB). Die Schneiders sind eine der ältesten Schausteller-Dynastien Deutschlands. Seit gut 40 Jahren in Bielefeld ansässig, feiert die Familie am Samstag das 150-jährige Jubiläum in »Werning's Weinstuben« mit Freunden, die von überall her anreisen, um zu gratulieren.

Bärbel und Walter Schneider haben »das Geschäft« inzwischen an ihre drei Kinder übergeben und reisen selbst »nur noch die halbe Saison« von Festplatz zu Festplatz. Zu Hause sind Bärbel und Walter Schneider, die Kinder Karen, Ewald und André, dazu Schwiegertochter, vier Enkelkinder in Bielefeld. Alle zusammen kommen aber »höchstens zu Weihnachten«, meint Walter Schneider. Sohn André ist zurzeit mit dem Auto-Scooter auf der Frühjahrskirmes an der Radrennbahn, und »wir sind natürlich auch da, wenn wir gebraucht werden,« sagt Bärbel Schneider.
Ursprünglich stammen die Schneiders aus Soest. Walter Schneiders Urgroßvater Hermann, Stellmacher von Beruf, begann Karussells zu bauen, die damals noch von Pferden in Bewegung gesetzt wurden. Sohn Fritz reiste bereits als Schausteller herum - im reich verzierten Wohnwagen, das zerlegte Karussell im »Gepäck«. Walter Schneider: »Angefahren wurden Plätze im Sauerland und im Paderborner Land.«
Vater August Schneider, geboren 1900, und seine drei Brüder waren bereits alle als Schausteller unterwegs. August Schneiders Frau Maria war eine geborene Lemoine, die ein Zirkusunternehmen betrieb. Walter Schneider: »Meine Mutter wurde zu einer sehr guten Geschäftsfrau.«
Als erstes eigenes Fahrgeschäft hatte sein Vater ein »Teufelsrad« - eine Scheibe, die herumwackelte und die Menschen, die auf ihr standen, zu deren Amüsement durcheinanderpurzeln ließ. 1933 übernahm er ein Hippodrom: außen bunt lackiertes Holz, innen ein Spiegelpalast mit großer Restauration, von der aus man die Reitbahn sehen konnte. Walter Schneider: »Da trafen sich die Haute volee und der Arbeiter, dorthin führte man seine Liebste oder feierte mit Freunden.«
1928 wurden die Schneiders in Stuttgart sesshaft, Walter Schneider wurde dort 1935 geboren, als eines von sechs Kindern. »Im Winter sind wir in Stuttgart zur Schule gegangen, im Sommer haben wir mit jedem Festplatz auch die Schule gewechselt«, erinnert sich Walter Schneider. Später zog die Familie wieder nach Soest und betrieb das Karussell »Die Blaue Fahrt«, dazu einen Auto-Skooter. Bis 1943 sei man noch unterwegs gewesen, dann wurde bei einem Bombenangriff der Auto-Scooter halb zerstört (»Die Autos blieben aber heil!«).
1946 bereits sei es seiner Mutter gelungen, von den Alliierten eine Genehmigung zu bekommen, wieder herumreisen zu dürfen. Sein ältester Bruder Johannes führte den Auto-Scooter, die »Blaue Fahrt« blieb bis 1948 in Betrieb, das »Hippodrom« wurde während des Krieges an den Zirkus Althoff verkauft - als Probenhalle. Walter Schneider bedauert: »Von den alten Fahrgeschäften ist nichts übrig geblieben - schade.« Er selbst führte gleich nach der Schule einen Kettenflieger, später »Raupe«, Auto-Scooter, ein 180-Grad-Kino . . .
Seine Frau Bärbel, geb. Robran, entstammt ebenfalls einer Schaustellerfamilie. Das Paar lernte sich in Hamburg auf dem »Winterdom« kennen und ließ sich fünf Jahre später in Bielefeld nieder. Walter Schneider: »Ich würde immer wieder den Beruf des Schausteller wählen - da muss man alles können und ist sein eigener Herr.« Von seinem Vater habe er gelernt, Sicherheit über alles zu stellen, und das habe er an seine Kinder weiter gegeben. Schneider: »Schausteller zu sein, das ist ein Beruf mit Zukunft.« Ob auch seine Enkel sich dafür entscheiden? Schneider: »Abwarten!«
Wieviele Kilometer er beruflich zurück gelegt hat, vermag Walter Schneider nicht zu sagen: »100 00 - das ist ja nichts.« Sein Vater fuhr schon bis Königsberg, er selbst bereiste die Plätze zwischen Flensburg und München, Sohn Ewald ist europaweit mit seinem »Power Tower« unterwegs - über Weihnachten war er in Dublin. Walter Schneider: »Da war die Familie dann auch nicht zusammen.«

Artikel vom 17.03.2005