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Archive setzen auf
arbeitslose Hilfskräfte

180 Experten aus Westfalen tagen in Bad Lippspringe

Von Dietmar Kemper
Bad Lippspringe (WB). In den Archiven in Westfalen-Lippe sollen verstärkt Ein-Euro-Jobs eingerichtet werden. Damit hofft das Westfälische Archivamt in Münster die angespannte finanzielle und personelle Situation zu entschärfen.

»Handwerker können beim Umbetten von Archivalien helfen, arbeitslose Historiker Forschungsaufgaben übernehmen«, sagte Landesarchivdirektor Rickmer Kießling gestern in Bad Lippspringe. Um die Zahl von 15 Ein-Euro-Jobs deutlich auszuweiten, kündigte er verstärkte Werbung für den Einsatz im technisch-konservatorischen Bereich an. In der Kurstadt im Kreis Paderborn versammelten sich 180 Männer und Frauen zum größten regionalen Archivtag Deutschlands. Weil die Verwahrung historischer Quellen zu den Pflichtaufgaben gehört, haben alle 231 Städte und Gemeinden in Westfalen in der Regel ein Archiv; hinzu kommen mehrere 100 private und Adelsarchive.
Wegen der Ebbe in den kommunalen Kassen schwindet der Handlungsspielraum. »Die Hälfte der Städte und Gemeinden hat bei den Archiven gekürzt«, berichtete Kießling. Gehe ein Archivar in den Ruhestand, werde die Stelle nicht mehr hauptamtlich besetzt. Zudem müssten Archivare andere Aufgaben mit übernehmen. Mischformen wie die in Bad Lippspringe, wo Archivar Michael Pavlicic gleichzeitig als Standesbeamter arbeitet, kämen inzwischen immer häufiger vor, sagte Kießling.
Nachdem 1989 das Landesarchivgesetz verabschiedet wurde, bildete sich in Westfalen eine vorbildliche Infrastruktur. Knapp 30 zusätzliche Archive kamen neu hinzu. Diese Entwicklung sieht der Leiter des Westfälischen Archivamtes, Norbert Reimann, bedroht: »Was wir mühsam aufgebaut haben, läuft jetzt Gefahr, verloren zu gehen.« Reimann appellierte an die Verwaltungen sowie die Gemeinde- und Stadträte, Restaurieren und Konservieren nicht als verzichtbare Beschäftigung mit der Geschichte aufzufassen. Investitionen ins Archiv seien »Investitionen in die Zukunft«, weil dadurch künftige Generationen die Möglichkeit erhalten, historische Quellen zu nutzen.
Um Geldquellen zu erschließen, hoffen die Archivare auf Sponsoren und möchten verstärkt Unternehmen mit gemeinnützigem Auftrag wie zum Beispiel die Sparkassen ansprechen. Allerdings gibt sich Reimann keinen Illusionen hin. Es sei einfach, einen Gönner für die Rettung einer wertvollen Handschriftensammlung zu finden, aber sehr schwer, einen Sponsor für die Restaurierung von »50 laufenden Metern alter Sozialhilfeakten« zu begeistern.
Damit Archivalien nicht wie bei der Oderflut 2002 und beim Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar (September 2004) verloren gehen, werden derzeit flächendeckend Katastrophenpläne in Westfalen-Lippe aufgestellt. Zehn Archive verfügen über Rettungsboxen, in die Akten und Urkunden rasch verpackt und bei minus 27 Grad tiefgefroren werden. Ein Erste-Hilfe-Team mit zwei Restauratoren vom Westfälischen Archivamt und Verwaltungsleiter Rickmer Kießling steht rund um die Uhr auf Abruf bereit. Dank der Helfer aus Westfalen konnten während der Oderflut 40 Tonnen Archivgut gerettet werden.

Artikel vom 16.03.2005