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Leitartikel
Dienstleistungsrichtlinie

Sagen wir doch einfach Tagelöhner


Von Reinhard Brockmann
Den irischen EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy, seinen Vorgänger Frits Bolkestein und auch Günter Verheugen verbindet ein Vision. 600 000 der 19 Millionen Arbeitslosen in der Europäischen Union sollen als Dienstleister - wie die Tagelöhner früherer Zeiten - durch Europa wandern und die EU bis zum Jahr 2010 zum Superstar im globalen K.o.-Wettbewerb machen.
Manches daran ist mehr als eine Vision. Eine Studie zur Befürwortung der »EU-Dienstleistungsrichtlinie« kommt tatsächlich zu dem Schluss, dass 600 000 Jobs europaweit »drin« sind. Anderes kann noch verhindert werden. Käme die EU-Richtlinie ohne jede Entschärfung durch, sähe das Szenario so aus: Es ginge gar nicht um jene Glücklichen, die endlich wieder in Arbeit kommen, sondern um verheerenden Veränderungen für Millionen sozialversicherte Arbeitnehmer. Auch Betriebe, die brav Tariflöhne zahlen, könnten die Dummen sein.
Die EU-Dienstleistungsrichtlinie eröffnet ein Reservoir von 19 Millionen willigen Menschen ohne feste Arbeit. Einige würden zu einem Bruchteil früherer Kosten in den Produktionsabsläufen aller 25 Länder eingesetzt. Die anhaltende Verschiedenheit Europas, seine moralische Stärke, wird als ökonomisch schwächste Stelle ausgenutzt. Zuerst sinken in Deutschland die Handwerkerstunden auf Schwarzarbeitniveau. Dann rollt die Entwicklung in ihre Herkunftsländer zurück. Denn: Was passiert, wenn aus Polen »Dienstleister«, sprich: Wanderarbeiter nach Deutschland ziehen, um als Billigkräfte in höchst rationalisierten Fabriken oder Schlachthöfen zu arbeiten und ganz nebenbei die bisherigen Beschäftigten verdrängen? Antwort: Die Polen in Polen, die in nur halb so modernen Fabriken ihre Schweine schlachten und Produkte herstellen, haben als nächste verloren. Deutsches Fleisch und alle anderen Massenwaren werden auch billiger als jedes osteuropäische Produkt. Die Verbindung von allerhöchster Produktivität und niedrigster Entlohnung machte selbst den neuen Mittelstand in Polen, im Baltikum oder in Ungarn platt.
Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement beschwört da lieber Ludwig Erhard und den damaligen Pioniergeist. Damit überspielt er, dass auch nach seiner Vorstellung, jeder in jedem Land zum Lohn des Heimatlandes Dienste anbieten soll.
Es wird wohl nicht ganz so heftig kommen, wie hier überzeichnet dargestellt. Mediziner, Juristen, Software-Entwickler und alle, die mit viel Geld umgehen, werden sich aus der Affäre ziehen. Nicht aber die, die schon Billigjobber sind: Putzkolonnen, Wachleute und Paketboten.
Zwischen beiden Gruppen steht das Handwerk, das sich von Clement und anderen ihr jahrhundertealtes (und längst durch und durch reformiertes) Zunftwesen um die Ohren hauen lassen muss. Blieb noch die Frage an Brüssel, warum eigentlich nicht in den Heimatländern selbst genügend Dienstleistungen nachgefragt werden, um Jobs zu schaffen.

Artikel vom 17.03.2005