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Triumphe, Tränen, Tragödien:
Sie sind Liverpools Geschichte

In der Champions League sollen die alten Glanzzeiten wieder aufleben

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Leverkusen (WB). Fast schien es so, als habe der FC Liverpool gerade nur eine lästige Pflichtübung erledigt. 3:1 bei Bayer 04 Leverkusen, nicht der Rede wert. Mehr gelangweilt als glückselig saßen die Sieger im gemieteten Reisebus und warteten darauf, nach dem Erfolg über den Bundesligisten im Achtelfinale der Champions League ins Hotel kutschiert zu werden.

»Wir hatten hier keine Probleme«, stellte der deutsche Nationalspieler Dieter Hamann fest. Leicht war es gefallen, den Gegner aus Europas Edelklasse zu entfernen. »Wir wollen noch sehr weit kommen«, erklärte Trainer Rafael Benitez und servierte seine Ansicht mit ansteckend guter Laune: »Wir haben gut gespielt. Aber unser bester Fußball war das nicht.«
Doch so langsam nähert sich die Mannschaft von der Merseyside den Anforderungen des Spaniers, der vor dieser Saison antrat, um die guten, alten »Reds« wieder salonfähig zu machen. Schluss damit, dass der Traditionsklub aus der Beatles-Stadt in der englischen Fußball-Hitparade höchstens noch die vierte Geige hinter Chelsea, Arsenal oder Manchester spielt. War die Anfield Road früher nicht ein viel gefürchteter Schauplatz als Stamford Bridge, Highbury oder Old Trafford?
An diesem Abend in Leverkusen gaben die Liverpooler ihrem mitgereisten Anhang immerhin einen Vorrat an Hoffnung für das Spiel aller Spiele. »Kommen wir noch an Everton vorbei?« wollte jemand von Benitez wissen. Wieder grinste der Trainer, und als Antwort genügte ihm ein Wort: »Leicht.«
Der Rückstand auf den in der Tabelle um einen Platz besser positionierten Stadtrivalen wollte der FC Liverpool gestern Abend durch einen Heimsieg im Nachholspiel gegen Blackburn auf fünf Punkte verringern. Und Sonntag um 17.05 Uhr wird der große Lokalkampf angepfiffen. FC Liverpool gegen FC Everton. Das wird mindestens so heiß gekocht wie hierzulande der Ruhrpott-Rocker Dortmund gegen Schalke.
In den Katakomben der BayArena gab es zumindest auf einer Seite keinen Zweifel am Sieger mehr. Applaus begleitete das Versprechen des Trainers, Everton werde die Liverpooler niemals abhängen. Dass allerdings Spitzenreiter Chelsea und Liverpool Welten trennen, ist trotzdem kein Vergnügen. Mit den »Blues« können die »Reds« nicht im geringsten mithalten. Wie auch? Bei den Londonern pumpt der russische Öl-Milliardär Abramowitsch aus sämtlichen Quellen, das Förderziel ist klar: Die sprudelnden Geldfontänen sollen endlos Titel sichern.
Vielleicht gibt es bald die Gelegenheit zum Treffen auf internationaler Ebene. Ein rot-blaues Duell im Finale der Champions League wäre ein echter Hammer. Aber auch nach dem gelungenen Zwischenstopp Leverkusen bleibt es für den FC Liverpool ein weiter Weg bis Istanbul. Morgen steigt die Auslosung zum Viertelfinale - der FC Bayern, Milan, Inter, Juventus, Lyon und Eindhoven tummeln sich im Topf. »Wir nehmen, was kommt, was sollen wir uns darum Gedanken machen?« sagte Benitez, der sich auch als Spanier seines besonderen Insel-Jobs in England in jeder Minute bewusst ist: »Ich finde es unglaublich, wie die Anhänger hinter dem Klub, den Spielern und mir stehen.«
Vielleicht gelingt ihm tatsächlich ein Coup, der daran erinnert, welche ganz große Hausnummer dieser Verein einmal war. Noch 2001 wurde an einem berauschenden Abend im Dortmunder Westfalenstadion CD Alavez im Uefa-Cup-Finale mit 5:4 bezwungen. Unvergessen bleibt die Zeit von 1972 bis 1990, in der Liverpool elf Mal die Meisterschaft und von 1977 bis 1984 vier Mal den Europacup der Landesmeister gewann.
Doch in der ruhmreichen Geschichte gibt es auch dunkle Stunden. Bei allen Triumphen werden die Tränen über die Tragödien wohl niemals so ganz trocknen. 1985 ereignete sich im Brüsseler Heyselstadion eine schwarze Nacht des Fußballs, weil es vor dem Meisterfinale zwischen Juventus Turin und dem FC Liverpool zu einer Massenpanik kam. Hooligans hatten einen italienischen Block gestürmt. 39 Menschen kamen ums Leben, Liverpool wurde für fünf Jahre mit einem Europacup-Bann belegt.
1989 passierte Hillsborough. Im Stadion von Sheffield war ein Liverpooler Tribünenteil längst überfüllt, als sich immer noch mehr Fans hineinzwängen sollten. 96 Besucher starben - erdrückt und zerquetscht. Die Fußball-Hymne »You'll never walk alone« entstand. Und sie ist seither so untrennbar mit Liverpool verbunden wie Lennon und McCartney.

Artikel vom 17.03.2005