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Archäologen werten
»Verdachtszonen« aus

Römische Siedlung in Petershagen ein Schwerpunkt

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). »Jetzt geht's mit Macht los«, kündigt die Chefarchäologin des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Gabriele Isenberg, an. Mit dem Frühling beginnt die Spurensuche im Boden, der nicht gefroren sein darf.

Ist der Untergrund steinhart, würde der Bagger den Boden zerstören. »Dann wäre die Schichtfolge nicht mehr rekonstruierbar«, sagte Isenberg gestern dieser Zeitung. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Menschen nach oben gewohnt: Die einzelnen Bodenschichten stehen für Abschnitte der Siedlungsgeschichte. Deren Dokumentation wird städtische Stratigraphie genannt und ist sehr aufwendig. Ein Beispiel für das mühsame Freilegen der Stadtgeschichte ist das Welle-Haus in der Bielefelder Altstadt.
Während die Ausgrabungen dort abgeschlossen sind, haben Archäologen in Petershagen-Raderhorst (Kreis Minden-Lübbecke) gerade erst begonnen. »Die Siedlung aus der römischen Kaiserzeit steht unter Schutz, wird aber von einer Landstraße durchquert«, sagte Daniel Bérenger gestern dieser Zeitung.
Als zweiten Grabungsschwerpunkt im ersten Halbjahr nannte der Leiter der Außenstelle Bielefeld des Westfälischen Museums für Archäologie die mittelalterliche Ortschaft Schattenhusen bei Brenken im Altkreis Büren. Dort zwingt ein Autobahnzubringer für den Flughafen Paderborn-Lippstadt zur Eile. Die Archäologen sollen möglichst bis Ende Juni mit dem Freilegen, Anschneiden, Dokumentieren und Bergen fertig sein. Neue Erkenntnisse über Paderborns Stadtgeschichte und die Ausmaße der Domburg erhoffen sich die Spurensucher bei Grabungen am Kötterhagen und Stadelhof.
Für ihre Arbeit stehen Gabriele Isenberg und den 95 festangestellten Mitarbeitern 1,2 Millionen Euro vom Land zur Verfügung. Die Personalkosten bestreitet der Landschaftsverband, zudem müssen Firmen eine Art Entschädigung dafür zahlen, dass sie eine Baugrube verursachen. Die Archäologen in Westfalen betreiben keine Forschungs-, sondern Rettungsgrabung. Wenn sie als Träger öffentlicher Belange bei der Durchsicht von Bau- und Flächennutzungsplänen so genannte »Verdachtszonen« entdecken, entscheiden sie darüber, ob diese Bereiche unter Schutz gestellt werden. Richtschnur ist Paragraf drei des Denkmalschutzgesetzes: Demnach ist ein Bereich dann »denkmalwert«, wenn er für eine Region und die Geschichte der Menschheit bedeutsam ist. Die Fundstellen werden ins Register eingetragen, allein in Ostwestfalen-Lippe sind es 8000. Im vergangenen Jahr kamen 50 neue Punkte hinzu.
»Wir sind die letzte Chance für geschichtliche Urkunden im Boden«, sagt Chefarchäologin Isenberg. Das Ausgraben nennt sie »kontrollierte Zerstörung«. Wenn der Frost aus dem Boden gewichen ist, rücken die Archäologen mit Bagger, Kelle, Kratzer, Spaten und Pinsel zu den Fundstellen aus. »Skelette werden mit dem Pinsel freigelegt, Mauern mit dem Staubsauger gesäubert«, erklärt Westfalens oberste Spurensucherin.

Artikel vom 15.03.2005