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Wohlwollender Applaus
für ein ehrgeiziges Projekt

Der Leineweberchor sang Bachs Matthäus-Passion

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Es ist vollbracht. Nach einer knapp vierstündigen Aufführung setzte langanhaltender, wohlwollender Applaus den Schlussstrich unter ein ehrgeiziges Projekt: die Aufführung der Bachschen Matthäus-Passion durch den Leineweberchor.

Vor zwei Jahren übernahm Michael Hoyer die Leitung des traditionsreichen Volkschores. Seither kann man sich bisweilen beim Anblick der Konzertankündigungen ungläubig die Augen reiben. Nach zwei klug ausgewählten und glücklich aufgeführten Kantaten aus Bachs Weihnachtsoratorium setzte Hoyer jetzt zum großen Sprung an.
Seit dem vergangenen Sommer probt der Chor das Passionsdrama mit Verstärkung durch erfahrene, sattelfeste Oratoriensänger - und hat, keine Frage, an stimmlichem Gehalt zweifelsohne hinzugewonnen. So saßen die Choräle nicht nur maßgeschneidert, sondern kamen auch mit der gebotenen kontemplativen Kraft zu Gehör. Grenzen sind dem Chor in der großen doppelchörigen Anlage gesetzt. Bereits im Eingangsportal »Komm, ihr Töchter« ließ sich Unsicherheit in Bezug auf Einsätze und Intonation nicht kaschieren. Und auch die Turbaeinschübe kann man sich spannungs-, kraftvoller und reaktionsschneller vorstellen. Die Frage drängte sich auf: Soll, beziehungsweise darf man einen Volkschor mit solch anspruchsvoller Literatur konfrontieren?
Man kann über vieles hinwegsehen und dennoch Gefallen an einer Aufführung finden, sofern ein ingeniöser Geist darin erkennbar wird. Doch im Vorfeld geweckte Erwartungen wurden nicht erfüllt. So hatte Hoyer angekündigt, durch eine am kompositorischen Faktum ausgerichtete Interpretation die Ausdrucksgewalt freizusetzen, die in der Musik Bachs enthalten sei, und so dem Werk seine geistige Anstößigkeit zurückzugeben. Warum er dann mit musikalischer Gestaltung in Form Akzentuierung und Dynamik so geizte und Tempi einfach verschleppte, bleibt sein Geheimnis. Dabei verfügt das Polifonia-Ensemble durchaus über fähige Solisten. Neben Soloflöte und Oboen fiel hier vornehmlich das Solocello in der Bassarie »Mache dich, mein Herze, rein« positiv auf. Kongenial im Dialog mit Andreas Wolff, der generell seine Arien äußerst geschmeidig und dezent gestaltend ausfüllte. Evangelist Wolfgang Tiemann ließ es an Verkündungswillen nicht mangeln, war hingegen stimmlich indisponiert. Heiner Eckels gab den Jesus-Worten mittels arioser Gestaltung Gewicht, Marion Wiese erfüllte die Nebenrollen mit warmem Schmelz. Stephanie Hanf ließ blühende Sopranpracht einfließen, und Julia Husmann gestaltete ihren Part mit dezent kolorierter und warm timbrierter Altstimme.

Artikel vom 15.03.2005