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Im Dunkeln, später als geplant, verlasse ich den Palazzo de Waels mit dem Gefühl, dass Señora und Señor ein Herz und eine Seele sind, wenn es um den Profit aus dem Handel mit Bildern geht. Als charmante Gastgeber verstehen sie es, ihre Mitmenschen für sich einzunehmen. Ihre Hilfe erscheint, oberflächlich besehen, selbstlos. Doch spüre ich, dass sie nie wie andere Leute nur um der Konversation willen mit ihren Gästen plaudern. Zu gezielt waren ihre Fragen nach meinen Absichten und nach der Höhe des königlichen Kostenplans. Ich werde zudem den Eindruck nicht los, dass sich die Dame des Hauses über meine Ansichten und Urteile insgeheim Notizen machte É

Genua, 23. März 1649

Die nachmittägliche Sonne wirft zwischen Wolkenfetzen hindurch immer wieder einen hellen Schein über die Dächer der Stadt. Seit drei Tagen bläst ein kalter Nordostwind und hat gleich mehrere Schiffe entlang der Pier zum Ablegen und zum Setzen der Segel veranlasst. Darunter endlich auch die Nuestra Señora de Atocha. Sie segelt nach Malaga zurück und hat Briefe an meine Lieben in Madrid mit an Bord. Für Juana habe ich eine Locke meines Haupthaars beigelegt, die längste, die mir der Barbier am ersten Tage abgeschnitten hat.

Der Haufe des Herzogs von Nájera ist erst vor drei Tagen in Richtung auf die schneebedeckten Berge hin abgezogen. Gott sei Dank bin ich in diesen Tagen keinem mehr begegnet. Außer den Hafendirnen dürfte niemand in Genua diese üblen Burschen vermissen. Ich bin daraufhin wieder einmal zur Abendmesse gegangen, um für das Erreichte zu danken. In der Kirche von San Luca, dem Namensgeber und Schutzheiligen der Malerzunft, habe ich gleich eine Kerze gestiftet, verbunden mit der Bitte, meine Mission gelingen zu lassen. Dabei entdeckte ich das Altarbild Anbetung der Hirten. Signiert ist es mit dem Namen Castiglione, wie mir gesagt wurde. Der Mann hat wahrhaftig mit Schwung den Pinsel geführt. Den »Kastilier« habe ich gleich als gutes Omen für meine weitere Reise angenommen.
Fünf Tage lang habe ich allein oder zusammen mit de Wael ungezählte Wände von Villen und Paläste auf der Suche nach dem Beispiellosen, der königlichen Qualität, abgeschritten. Es war wie auf einer Parade. Geradezu erdrückend empfinde ich den Auftritt von Macht und Reichtum der adeligen Familien, was sich auf die Güte der Gemälde leider nicht übertragen lässt. Denn nur wenige Stücke sind so bedeutend, dass sie glanzvoll einen der neuen Säle im königlichen Palast schmücken und mir den Ruhm eines geschickten Ankäufers einbringen können. Ob de Wael die wenigen Juwelen den Besitzern zu erträglichen Bedingungen abhandeln kann, wird sich zeigen É
Meine Stunden in der Hafenstadt Genua sind nun gezählt. Ein letztes Mal bin ich mit de Wael verabredet. Insgeheim hoffe ich, dass er gute Nachrichten für mich hat. Kurz darauf wird mir gemeldet, dass die Kutsche bereitsteht.
Es ist bitterkalt geworden. So sehr es mich während der Fahrt fröstelt, so wohl fühle ich mich wenig später in de Waels Palazzo, insbesondere in dem dicht mit flämischen Gobelins behängten Speisezimmer, dessen Wärme mich auftauen lässt. Ich bin mit de Wael allein. Mein Gastgeber kredenzt Glühwein, und sogar Rauchzeug liegt heute auf dem Tisch parat.
»Señor de Wael, ich bin Euch sehr zu Dank verpflichtet. Ihr habt mir die Türen zu den kostbarsten Räumen der Republik Genua geöffnet, und ich bin froh, dass ich so viele der feinsten Figuren und Malereien betrachten konnte. Es waren die anregendsten und reizvollsten Tage für mich - und das seit langem.«
»Das hoffe ich sehr. Eure Zeit ist kostbar, und ich wollte Euch die Suche erleichtern. Seid Ihr mit dem Erreichten zufrieden?«
»Nun - ich will offen zu Euch sein. Meine Erwartungen sind nicht ganz erfüllt worden.«
»Oh! Das überrascht mich É«
»Daran tragt Ihr keine Schuld. So herrlich die Paläste eingerichtet sind, so ist doch nur weniges darin, was den Ansprüchen unseres Königs genügt. Versteht das nicht als Geringschätzung.«
»Das tue ich sicher nicht, doch es enttäuscht mich trotzdem«, sagt de Wael betrübt. »War denn nun etwas dabei, was Euer Auge erfreute?«
»Welche Stücke das waren, das wisst Ihr eigentlich selbst É lieber É mhm É darf ich Sie einen lieben Freund nennen?«
»Ja, bitte! Es ist mir eine große Ehre, Diego«, stimmt Cornelis zu.
»Nun lieber Freund, wir haben in unseren Urteilen ja hervorragend übereingestimmt.«
»So ist es. Diego, darf ich raten, woran Sie denken?«
»Nur zu!«
»Es ist die herrliche Madonna von Meister Giulio Romano, die Götterszene von Paolo Veronese und der Marienaltar von Meister Johannes aus Gent.«
»Volltreffer, Cornelis! Wie steht es mit diesen Bildern? Lässt sich da etwas machen?«
»Vorläufig kann ich Ihnen keines der genannten Bilder vermitteln. Doch es besteht Hoffnung É«
»So sagen Sie mir doch wenigstens, woran es mangelt«, versuche ich ihn aus der Reserve zu locken.
»Es ist immer wieder der gleiche Punkt. Der Preis É« Resignation klingt aus seinen Worten.
»Bleibt hart. Man soll die Preise nicht überbieten, welche die Reichsten der Reichen selbst schon bezahlt haben.«
»Gut! Ich werde Sie sofort benachrichtigen, wenn sich ein Nagel lockert, an dem ein kostbares Stück Malerei hängt«, versichert er mir und öffnet die Tür zum Empfangszimmer, in dem ein knisterndes Feuer im Kamin lodert. Laura, die gerade die Tafel inspiziert, klingelt mit ihrem Dienstbotenglöckchen in Richtung ihrer Küche.
»Gleich werden wir uns eine genuesische Speisenfolge vor dem Kaminfeuer gönnen«, trällert sie wohlgelaunt.
Während sie den Raum verlässt, frage ich Cornelis nach dem Bild oben in seinem Atelier. »Konnten Sie darüber etwas in Erfahrung bringen?«
»Es sieht nicht gut aus. Wahrscheinlich wird es nicht gehen. Die Summe É für das Bild É ist außerordentlich hoch«, räuspert er sich.
»Wo liegen die Vorstellungen? Warum das Zögern?«
»Für die Familie ist es einzigartig. Sie will das Bild keinesfalls verkaufen.«
»Worin besteht diese Einzigartigkeit?«
»In der heiligen Katharina! Sie ist gleichzeitig die Namenspatronin mehrerer Familienmitglieder.«
»Alles hat doch seinen Preis. Sagen Sie schon, was soll es kosten!«, dränge ich ihn.
»Die Dinge liegen nicht so einfach, wie Sie denken.«
»Warum denn?«
»Dahinter steht der Doge. Verstehen Sie? Es gehört dem Dogen selbst.«
»Was will er dafür?«, erwidere ich kalt.
De Wael beugt sich weit über den Tisch zu mir herüber, als fürchte er Zuhörer. »Er fordert fünftausend Scudi«, flüstert er.
»Fünftausend? Warum nicht gleich zehn É?«, erwidere ich amüsiert. Ehrenmann oder Schurke, jagen die Gedanken durch meinen Kopf.
»Das Bild ist es allerdings wert ..«, meint Cornelis daraufhin selbstbewusst.
Ich zögere meine Antwort hinaus. Er überschätzt wahrhaftig meine Möglichkeiten. Meine Feinde am Hof würden auf eine solche Kaufentscheidung nur warten. »Seht nur! Der verschwenderische Günstling des Königs!«, würden sie rufen.
Nein, dieser Betrag ist absurd! Dafür kaufe ich auf meiner Reise Besseres! Um die Spannung zu steigern, greife ich nach einem Stück süßer Quitte und knabbere still davon kleine Portionen herunter.
»Der Erwerb des Gemäldes hat fast genauso viel gekostet«, bricht de Wael das Schweigen.
»Das mag sein. Doch es tut mir leid, mein lieber Freund. Ich will mich jetzt noch nicht dafür entscheiden.«
Meine Antwort gräbt Falten der Enttäuschung in sein Gesicht. Ich dagegen spüre noch auf der Zunge die Süße der Quittenmasse. Spontan greift auch Cornelis nach der überzuckerten Verführung. Schade, dass das Zeug keine Wirkung auf die Preisverhandlung hat. Nicht einmal ein mildernder Einfluss ist denkbar. Dafür werden mit jedem Stück, das in meinem und seinem Mund verschwindet, die sinnenfrohen Pinselzüge der Umschlungenen auf dem Boden der Schale wieder sichtbar. Vielleicht wäre die Arbeit des unbekannten Tellerbemalers etwas für den verspielten jungen de Haro, kommt es mir in den Sinn. Einen solchen Auftrag könnte ich jederzeit verantworten É
Während des Essens weicht die Enttäuschung am Tisch. Cornelis und Laura versichern mir erneut, sie würden weiterhin hart mit den Anbietern verhandeln, um mir günstigere Preise nennen zu können. Wir verabreden, im ständigen Kontakt zu bleiben, um in den kommenden Monaten eine ansehnliche Sammlung bis zu meiner Rückkehr zusammenstellen zu können.
Spät in der Nacht verlasse ich de Waels Palazzo. Am nächsten Morgen rufe ich Juan und Esquivel zu mir, um ihnen meine Entscheidung mitzuteilen: »Packt zusammen! Wir reisen nach Venedig É«

IX Sammeln für den König

Aus den Erinnerungen
des Diego Rodríguez de Silva y Velázquez
Genua - Venedig -
Florenz - Rom
1649

Bassano, 15. April 1649

Zusammen mit Esquivel, Rinaldo und Juan brach ich heute früh von Vicenza nach Bassano auf. Wir ritten etwas mehr als zwanzig venetische Meilen nach Norden durch frühlingshelles Land, auf den blauen, immer wuchtigeren Bergsaum der Alpen zu. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 22.03.2005