21.03.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 



Die nackte Haut dahinter wird durch ein transparentes dreieckiges Stoffstück abgedeckt, was meine Fantasie beflügelt. Ihr Busen wird dadurch mehr als nur betont. Prächtig wirkt ihre Robe, die, nach rückwärts gebauscht, in einer langen perlenbestickten Schleppe endet. Als sie mit hellwachen Augen auf mich zukommt, entwickelt sie die Anmut einer ganz jungen Frau.
»Meister Velázquez! Wir fühlen uns geehrt, einen so berühmten Maler in unseren Mauern zu wissen.« Während ihr Mann sie unverhohlen mit dem Blick eines stolzen Besitzers betrachtet, fährt sie fort, mit Blick auf den Kamin: »Die Zugluft hier ist unangenehm. Mein lieber Gatte, darf ich dir unseren Gast entführen?« Ein koketter Augenaufschlag lässt mich und ihren Mann wortlos gehorchen.
Wir betreten ein Speisezimmer, aus dessen Wärmelöchern in der Wand Schwaden heißer Luft dringen. Auf der langen Tafel entdecke ich eine ganze Galerie von Tellern und Schalen verschiedenster Konfekt- und Kuchensorten, die zur Plünderung bereitstehen.
Auf Anweisung der Hausherrin werden wahre Kathedralen glitzernder Glaskaraffen hereingetragen, die nach der Färbung des Inhalts zu urteilen mit Weinsorten und Wasser gefüllt sind. Es sind kunstvoll geschraubte Spielereien eines Glasbläsers. Vorab allerdings wird mir Tee angeboten.
Die Diener des Hauses reichen nach und nach Schalen mit gezuckerten Birnen- und Zitronenstücken. Als ich mehrere Stücke auf einmal herausgreife, sticht mir eine frivole Umarmungsszene von Venus und Mars auf dem Tellerboden in das Auge.
»Ein hübsches Detail. Was für eine geschickte Hand!«
»Ja, reizvoll, nicht wahr? Sie wurde in der Porzellanmanufaktur von Savona angefertigt!« Sie singt die Worte wie eine Arie. »All Eure Wünsche und Motive werden dort gern angenommen und ausgeführt.«
Ich registriere den erwartungsvollen Blick der reizvollen Signora und begreife, dass mir eine talentierte Vermittlerin gegenübersteht.
»Ja, ich stelle mir eine bezaubernde Liebesszene vor, vielleicht an der Ecke eines Tisches, so wie hier: inmitten eines Gespräches von feinsinnigen Menschen É«, lasse ich meiner Fantasie freien Lauf, während die Gastgeberin schmunzelnd ihren Kopf senkt.
»Señor Velázquez! Mir scheint, Ihr habt offenbar etwas zu lange unter Quarantäne gestanden É«, belustigt sich de Wael.
»Wie Recht Ihr habt. Meine Lust, diese wunderbare Stadt zu erobern, wurde von Tag zu Tag gesteigert. Genua ist noch prächtiger geworden, als ich es in Erinnerung habe. Manche Straßen habe ich kaum wiedererkannt vor so vielen neuen Palästen!«, lenke ich das Gespräch auf Belangloseres.
»Ihr solltet erst die Strada Nuova sehen!«, nimmt die Hausherrin den zugespielten Ball auf.
»Ja, statt Lehm und Kopfsteinen bekamen meine Füße breite Granitplatten geboten. Meine Überschuhe konnte ich fortlassen. Die sauberen Gassen sind die reine Wohltat«, schmeichle ich.
»Genua gedeiht. Doch man lässt uns spüren, wer das Geld hat, Señor Velázquez. Die Paläste von Genua gehören den Bankiers des spanischen Königs, die alles Gold und Silber aus Sevilla eingesammelt haben. Die stolzen Marcheses und Marchesas vergessen allerdings gern, dass Madrid es ist, unter dessen Schutz hier alles erblüht.«
»Ich hoffe, zum Dank dafür werden sie mir, dem Abgesandten des spanischen Königs, ihre Kunstkammern öffnen«, entgegne ich.
»Gewiss, gewiss É Cornelis hat gleich nach Erhalt Eures Briefes seine Beziehungen für Euch genutzt«, beteuert die Dame des Hauses.
»Nun, jedes wirklich hervorragende Stück Malerei ist in den Palästen des Königs willkommen. Dazu jede Schnitzerei, jeder gelungene Guss und jede blütenweiße Marmorskulptur. Allerdings kommen nur auserlesene Objekte für die königliche Sammlung infrage.«
Daraufhin beginnt Laura de Wael über die neuausstaffierten Genueser Paläste zu schwärmen, bis Cornelis sie unterbricht. »Ich schlage vor, wir werden morgen mit den Kostbarkeiten der alten flämischen Maler beginnen, die sich bei den Söhnen von Giovanni Agostino Balbi befinden.«
»Nichts lieber als das.«
»Außerdem ist Euer Besuch in den nächsten Tagen auch bei den Lomellini, der Witwe Sale-Brignole und beim Marchese Durazzo willkommen. Ebenfalls habe ich die Zusage erhalten, mit Euch die Bilderkammern des verstorbenen Gian Carlo Doria besichtigen zu können.«
»Oh, das klingt vielversprechend. Wie umfangreich ist die Sammlung?«
»Sie umfasst mehr als neunhundert Werke. Das meiste dürfte Euren Ansprüchen nicht genügen, aber das eine oder andere von Rang ist wohl dabei. Ich habe einen ganzen Tag für die Sichtung vorgesehen, damit Ihr Euch alles genauestens ansehen könnt.«
»Ihr habt gut vorgearbeitet!«, lobe ich den tüchtigen Agenten meiner Neugierde.
»Für Euch und unseren König ist mir keine Mühe zu groß.«
»Sagt, gibt es unter diesen Beständen Gemälde, die ich sofort erwerben könnte?«
»Sicher nicht auf der Stelle. Es ist noch nicht klar, was mit dem Erbe geschehen soll; es heißt, es solle geteilt werden. Daraus könnten wir vielleicht Gewinn ziehen.« De Wael geht einige Schritte im Raum auf und ab, um zu überlegen. »Vielleicht könnt Ihr mir nach der Besichtigung sagen, welche Stücke für die Paläste des Königs infrage kommen, damit ich weiß, über welche ich für Euch verhandeln soll.«
»Ein großzügiges Gebot wäre für den Erwerb der Gemälde in jedem Fall sehr förderlich«, mischt sich Laura ein. »Es würde auch die erfolgreiche Verhandlung meines Mannes absichern.« Ich höre die listige Absicht aus ihren Worten heraus.
Aber dieses Spiel spiele ich mit: »An Geld soll es nicht mangeln. Ich werde in dieser freigiebigen Stadt verschwenderisch mit den Silbermünzen meines Königs umgehen! Aber wollen wir erst einmal gemeinsam sehen, was Neptun über die Meere in die Paläste Genuas geschwemmt hat.«
De Wael nippt als Antwort an seinem Weinglas. Langsam löst er es von seinen Lippen. »Mir fällt etwas ein. Kommt bitte mit mir. Ich möchte Euch im hellen Licht noch etwas zeigen«, sagt er geheimnisvoll und hält mir die Tür auf.
»Wo führt Ihr mich hin?«
»In meine Werkstatt. Ich stelle Euch einen äußerst talentierten Maler vor. Er arbeitet ausschließlich für mich.«
Durch schmale, mit dunklen Bildern vollgehängte Gänge und über ein ebenso eng mit Malerei bepflastertes Treppenhaus folge ich de Wael in das geräumige Atelier. An Leinwandstapeln vorbei gelangen wir zu einer Gruppe mehrerer Staffeleien, an denen gerade gearbeitet wird.
Ein großer und schlanker junger Maler mit einer geschweiften Palette steht vor dem hohen Atelierfenster. Als wir näher kommen, legt er die Palette beiseite und wischt sich seine Hände am Kittel ab.
»Antonio Maria Vassallo! Der berühmte Meister Velázquez weilt als Gast in unserem Palazzo!«, schmettert de Wael die Verkündung in den Raum.
Der junge Mann verneigt sich tief. »Es É es ist mir eine Ehre É Meister É«, vernehme ich das Flüstern seiner Stimme.
»Señor de Wael hat mir von Ihrer Kunstfertigkeit berichtet. Darf ich sehen, was Sie gerade in Arbeit haben?«, antworte ich.
Eine mannshohe Leinwand zeigt ein hochformatiges Stillleben. Ein Vorhang bildet den Hintergrund für eine Gruppe prächtig ausgebreiteter Vögel mit glänzendem Gefieder, die in eine Marmornische drapiert sind. Unter dieser liegen auf einer Tischplatte Rebhühner und Hasen. Die blaue Tischdecke gleitet zum Boden hinunter, wo Kessel und Kannen im Licht aufglänzen.
»Mit solchen Küchenstücken habe ich auch begonnen. Aber was für ein Farbenwunder haben Sie dort auf der anderen Staffelei?«
»Das É das ist mein Werk É meine Kopie ..«, antwortet der junge Maler stockend. Ein fragender Blick hinüber zu de Wael genügt. Cornelis geht zur Wand, nimmt das Tuch von einem Bild ab und trägt jenes vorsichtig herbei, um es auf eine leere Staffelei neben der Kopie zu stellen.
»Unglaublich! Ihre Kopie ist ja fast schon selbst ein Meisterwerk! Ja, so muss man malen!«
Mit Absicht zeige ich Begeisterung für die Arbeit des begabten Jungen, um den Eindruck zu erwecken, als wäre mein Kaufinteresse für die Kopie geweckt. Natürlich wird sie das Original nie erreichen. Dieses ist ein Prachtstück mit mehreren Figuren. In zentraler Stellung zeigt es eine heilige Katharina, die vor der Madonna mit dem Christuskind kniet. Das Gemälde, zweifellos venezianischer Herkunft, hat eine andere Farbstimmung als Tizians Bilder, aber es steht dessen besten Werken nicht nach. Ich bin entschlossen, das Original und keinesfalls die Kopie zu erwerben. Aber ich will den Preis nicht durch die Andeutung übertriebener Kauflust in die Höhe treiben.
»Señor de Wael«, wende ich mich wieder an meinen Gastgeber, »als Maler spricht mich das Original allerdings auch sehr an. Wie wäre es damit? Der Besitzer könnte doch nun dessen Verlust eher verschmerzen, nachdem eine so exzellente Kopie existiert?«
»Diese wunderbare Madonna wurde von Jacopo Palma dem Jüngeren geschaffen.« De Wael lächelt hintergründig, als hätte er meine Absicht durchschaut. »Doch die Frage eines Verkaufs dürfte sich als schwierig erweisen. Die Kopie habe ich gerade in Auftrag genommen, weil sich zwei vornehme Erben nicht über den Besitz des Originals einigen konnten. Sie hängen dummerweise beide an dem herrlichen Stück. Aber lasst mich überlegen É« Prüfend blickt er zwischen den beiden Gemälden hin und her. »Vielleicht ist das eine Sache für Laura.«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 21.03.2005