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Wenn süß der Banker auf dem Geldsack schläft

»Kalka« uraufgeführt: Kerstin Hensel erklärt uns die Gefahren der materialistischen Welt


Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). »Wer Erfolg haben will, muss ÝICH!Ü sagen können«, deklamiert der Chor. Und weil Kerstin Hensel fasziniert ist vom Verhalten der Menschen »in dieser mir völlig fremden Geldgesellschaft«, hat sie ein Stück über das böse, böse Geld geschrieben: Ihr Publikum nahm die Uraufführung von »Kalka« am Freitag im TAM höflich zur Kenntnis.
Lyrik schmückt sich gerne mit dem Attribut »expressiv«. Kerstin Hensel ist Lyrikerin; die Texte ihres Schauspiels »Kalka« allerdings sind expressiv in der lateinischen (Neben-)Bedeutung von »handgreiflich«: Was immer der Zuschauer eh schon wusste - Kerstin Hensel erklärt es ihm noch einmal mit allem Nachdruck.
Der Chef, zum Beispiel, hat immer Recht. Und sie werden auch schon vermutet haben, dass die Frau es schwer hat in unserer männerdominierten Gesellschaft - Kerstin Hensel bestätigt Ihnen den schlimmen Verdacht gerne.
Für all jene, die das nicht bereits beim Lesen kapieren, hat Olga Wildgruber den Text in Theater umgesetzt. Die Regisseurin mag sich gedacht haben, dass Expressivität ohne Lautstärke wenig eindrucksvoll wäre, also wird expressiv gerufen oder, wir sind hier ja in Ostwestfalen: Es wird ordentlich gebölkt.
Dazu flattert ein gefiederter Sparkassenleiter (Max Grashof) durchs Bild oder bettet sich auf Geldsäcken zur Ruhe, wie Sparkassenleiter das eben zu tun pflegen. Totzukriegen ist dieses skurrile Vogelwesen nicht - kaum gemeuchelt, steigt es wieder empor wie Phönix aus der Aktie.
Die Frau wiederum muss putzen und dem Mann zu Willen sein. Sie wedelt Staub im Gefängnis des Patriarchats, und damit das auch verstanden wird, steckt Olga Wildgruber die willige Puschel (Christina Huckle) in einen Käfig. Kaum ausgebrochen, röchelt sie im Würgegriff des Mannes ihr Leben aus, denn wo kämen wir da hin, wenn Frauen selbst bestimmen, wo's langgeht.
Der geschurigelte Bankangestellte Franz Kalka (Mathias Reiter) hat nichts von dem, was Männer gerne haben: Geld, Macht, Frauen. Ganz kurz nur darf er an diesen dreien schnuppern - dann erklärt uns Kerstin Hensel: Geld verdirbt nicht nur den Charakter, Geld macht auch nicht glücklich.
Womit wir bei der Erhöhung des Gewöhnlichen zum göttlichen Prinzip wären. Dafür erfand die Antike den Chor. Geführt von Stefan Gohlke und Helmuth Westhausser, repräsentieren die Laiendarsteller Harald Herz, Henriette Kassing, Friedhelm Kimpel, Alfred Koehler, Ingeborg Vollmer und Rolf Winkelhage sehr diszipliniert, sehr bühnensicher und mit großem Spaß am Theater die Bürger Bielefelds. Die, so muss man jetzt argwöhnen, alle gerne auf Geldsäcken lägen.
Okay, wer wollte das nicht. Weil aber Materialismus bähbäh ist, gehen wir zerknirscht ins Theater und lassen uns von Kerstin Hensel mal expressiv ausschimpfen.

Artikel vom 14.03.2005