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Sie bleiben einige Schritte vor uns stehen und machen eine tiefe Verbeugung. Schrill ertönen die Trompeten ein weiteres Mal. Nun tritt der Herzog von Nájera mit schwerem Schritt vor und nimmt dankend die Einladungsbriefe der vornehmen Quartiergeber entgegen. In dieser Adelsrepublik gibt es kein Staatsquartier, sondern eine Ehrenpflicht der vornehmen Häuser, die Gäste des Staates bei sich aufzunehmen. Der Herzog gibt nach dem formellen kurzen Grußwechsel die Quartiereinladungen an sein Gefolge weiter, wobei er die Namen der Gäste und Quartiergeber ausrufen lässt.
Von Genua an bin ich ein selbstständiger Abgesandter meines Königs. Es ist mir angenehm, dass ich schon Briefe versenden konnte, während das Schiff noch vor dem Hafen in Quarantäne lag. Ich erhalte auf diese Art eine gesonderte Begrüßung, während meine ungeliebten Reisegenossen bereits abziehen. Neugierig nehme ich meine Einladung von den Boten des Dogen in Empfang. Auf dem Briefsiegel sehe ich dasselbe Zeichen wie auf den Türen der Kutsche, die um das Zollhaus herumgefahren kommt und geradewegs auf uns zuhält. Das Wappen des schwarzen Adlers mit ausgebreiteten Schwingen auf silbernem und goldenem Grund weist den schmucken Zweispänner als der Familie Doria gehörig aus. Wir werden anspruchsvoll logieren!
Die Bremsbacken lassen die Räder quietschen, und die Pferde werden mit straffem Zügel zum Stehen gebracht. Die Türen fliegen auf, die Klappen des Gepäckraums werden hochgeschlagen und die Lederriemen der Ladeflächen aufgeschnallt. Flink ist der Wagen von kundigen Händen beladen und unsere Fracht vertäut. Der Zwerg Rinaldo erklimmt wie ein Äffchen die Kutsche und setzt sich kurzerhand auf die rückwärtige Ladung. »Es ist besser, wenn ich bei der Fahrt durch die Gassen aufpasse!«, knurrt er von oben herab.
Nun schlüpfe ich in den Fond, und der Kutscher drückt die Türe ins Schloss. Endlich ist das Ende meines nasskalten Daseins abzusehen! Das gleichmäßige Klappern der Pferdehufe und das harte Rollen der eisenbereiften Kutschenräder auf den Steinplatten sind Musik in meinen Ohren, bestätigen sie mir doch, dass ich endlich wieder festen Boden unter mir habe. Nur die weichgefederte Kutsche vermittelt ab und zu die Einbildung, man befände sich immer noch auf dem Schiff. Fast die gesamte Wegstrecke muss ich mich festhalten, um nicht hin und her geworfen zu werden. Dennoch sind die klammen Stoff- und Lederpartien der abgewetzten Polsterung jedem kantigen Spant und jeder harten Planke der Galeone vorzuziehen.Aber ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten und mag mich selbst nicht leiden, so knurrt mein Magen nach der grausigen Kost an Bord. Zudem fühle ich mich unwohl in meiner Kleidung. Mein Mantel ist angerissen und verdreckt, meine Hemden kleben vom Salzwasser, und die Flecken meines Magensaftes sind als Erinnerung an den stürmischen Seegang auf meinem Hemdentuch verewigt. Juan geht es nicht anders; er hat sich in die mir gegenüber liegende Ecke der Kutsche zurückgezogen. Immer noch zu nah, als dass wir unserem gegenseitigen Gestank entkommen könnten. Esquivel, der sich vorn neben den Kutscher platziert hat, wird dort oben sicher besser durchlüftet É
»Wenigstens sind wir heraus aus der Enge der niedrigen Decks!«, brummle ich vor mich hin. Juan nickt zustimmend. Dennoch verbietet mir meine klebrige Hülle jede unnötige Bewegung.
Die Wache am Tor lässt uns nach kurzem Halt passieren, und wir bewegen uns in die Via San Lorenzo hinein, die zum Dom führt. Es beginnt der steile Anstieg mit unruhigem Geschaukel durch enge Passagen. Mein Einnicken wird immer wieder von ruckartigem Halten und von ebenso jähem Anfahren verhindert, wenn wir uns an entgegenkommenden Fuhrwerken vorbeizwängen. Peitschenknallen und Flüche unseres Kutschers schrecken mich hoch, mehrfach auch die Schimpfkanonaden des frierenden Rinaldo hinter uns, der sich gegen Zudringlichkeiten des Straßenvolks wehrt. Auf der Höhe angekommen, geht es auf einer breiteren Straße etwas zügiger dahin, und schließlich rollt der Wagen gemächlich in die Hofeinfahrt eines stattlichen Palastes ein.
Zwei Diener in Livree öffnen die Wagentüren, und wir zwängen uns heraus.
»Willkommen in Genua!«, ruft die Stimme eines beleibten kahlköpfigen Mannes in einem dunklen Mantel. Gemessenen Schrittes bewegt er sich auf mich zu. »Ich darf Euch im Namen des Grafen Doria willkommen heißen, Signore Velázquez. Ich bin sein Haushofmeister. Dem Grafen ist es eine Ehre, Euch als Gast der Republik Quartier zu bieten und für Euer Wohlbefinden zu sorgen.«
»Ich danke Eurem Herrn aufrichtig und fühle mich geehrt durch seine Gastfreundschaft!«, erwidere ich und wage kaum eine Bewegung in meinem kalten Kleiderpanzer. »Ich werde mich bei ihm melden lassen, sobald mein Äußeres wieder gebührend hergestellt ist.«
Während meine Begleiter die verbliebenen Gepäckstücke abladen und zusammen mit den Dienern in den Palast schleppen, überlege ich, welche Botendienste dringlich veranlasst werden müssen: »Können meine Bediensteten von Euch Hinweise erhalten, wo sie Schneider und Schuster finden?«
»Wir haben geschickte und flinke Leute zur Hand, die zum Maßnehmen jederzeit in den Palast kommen. Unsere Pagen können sie zitieren, sobald Ihr es verlangt. Ein Barbier ist schon bestellt. Wenn Ihr es wünscht, wird Euch zuvor im Salon ein Mahl serviert.«
»Ihr habt wahrhaftig alles bedacht É«
»Dies ist Genua und das Haus Doria, Euer Ehren. Beide sind ihren Gästen eine angemessene Betreuung schuldig.«
»Dann mag nach dem Koch der Barbier kommen mit allem, was der Haut gut tut É«
Eine Folge von drei Gästeräumen ist mir zugeteilt. Im mittleren, einem großzügigen Wohnraum, empfängt mich die wohlige Wärme eines Kaminfeuers. Davor, auf einem breiten Stuhl, sehe ich einen warmen Stoffmantel und feine, weiche Tücher. Dahinter steigt Dampf aus einem Holztrog hoch, der mit klarem Wasser gefüllt ist. Welche Wonne wartet auf mich! Ich schäle mich aus dem nasskalten Panzer meiner Kleidungsstücke und steige in die hölzerne Wanne, um wieder Mensch zu werden.

Genua, 13. März 1649

I
ch begebe mich in den dritten Stock des Gesindegebäudes, in dem Juan zusammen mit Esquivel und Rinaldo untergebracht ist. Nachdem ich auf mein energisches Klopfen keine Antwort erhalten habe, drücke ich die Klinke der Tür. Sie ist nicht verschlossen. Juan steht mit dem Rücken zur Tür. Er ist allein und hat mein Klopfen scheinbar nicht bemerkt. Sein nackter, stark abgemagerter Körper ragt aus einer blauen Pluderhose heraus. Verwundert dreht er sich um.
»Oh, Don Diego? Wenn ich gewusst hätte É«
»Lustig siehst du darin aus!«
»Meine Hemden und Hosen tropfen noch auf der Leine, und ich habe mir bisher nur diesen schlecht sitzenden Fetzen ausleihen können.«
»So solltest du mir Modell sitzen. Ich würde das Gemälde Nach dem Tosen der Meere nennen. Es bekäme sicher einen Ehrenplatz im Buen Retiro.«
Daraufhin versucht Juan eilig seine Haarpracht zu bändigen, schlüpft geschwind in ein graues Leinenhemd, stopft die Hemdzipfel in die Hose und zieht den Gürtel enger.
»Ich bin froh, dass dein Gesicht wieder Farbe zeigt. In den vergangenen Wochen habe ich mir Sorgen um deine Gesundheit gemacht!«
»Mir geht es besser, seit ich wieder richtig ausgeschlafen habe!«, frohlockt Juan und streckt sich dabei, was von einem langen Gähnen begleitet wird. Dabei tritt er von einem Fuß auf den anderen und stützt sich schließlich an der Wand ab.
»Wenn man sechs Wochen auf schwankenden Brettern gestanden hat, schaukelt selbst der Felsengrund von Genua.«
»Auch mein Bett hat ziemlichen Seegang gehabt«, stimme ich ihm lachend zu und halte ihm ein verschnürtes Bündel hin: »Der Schneider hat mir einige Hemden und Strümpfe mitgebracht! Probiere aus, ob sie dir und Esquivel passen.«
Vorsichtig packt Juan die Sachen aus. »Oh, vielen Dank! In jedem Fall besser als die vom Salzwasser verrotteten Stücke.« Daraufhin mustert er mich vom Halstuch bis zur Schuhspitze. »Ihr selbst seht bereits wie ein perfekter Genueser Edelmann aus. Wie ist Euch das so schnell gelungen?«
»Der emsige Schneider. Seine Werkstatt ist schneller als der Blitz. Er muss noch gestern Abend begonnen haben, da er mir heute Mittag die erste Garnitur für einen Ausgang gebracht hat. Diese Sachen brachte er ebenfalls mit. Die Genuesen wissen genau, was Menschen nach einer überstandenen Seereise brauchen.«
Juan mustert mich erneut. »Habt Ihr etwas vor?«
»Juan, du bist ein guter Beobachter. Ja, wir werden uns etwas Besonderes ansehen. Ich möchte dich dorthin mitnehmen.«
»Darf ich wissen, was es ist?«
»Wir werden zusammen eine Gießerei besichtigen. Die Bronzegießer von Genua sind stolz auf ihre Fertigkeit und haben mir angeboten, Nachgüsse von berühmten Originalen anzufertigen. Sie behaupten, sie können alle Vorzüge der Vorlagen, aus welchem Material auch immer, in perfekte neue Figuren gießen. Bei den berühmten griechischen Statuen waren die feinsten Stücke oft in Bronze ausgeführt. Deshalb liebt unser König Bronzen und zieht sie den Marmorfiguren vor. Er will nur das Beste! Nun, denke ich, wollen die Genuesen zeigen, was sie können.«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 17.03.2005