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Er möge draußen im dunklen Gang die Hand vor die Augen halten, um nicht von der Tageshelle geblendet zu sein É
Das Bildnis ist mir so gelungen, wie ich es wollte. Es vereint ein hohes Maß an Selbstverständlichkeit mit sinnlicher Unmittelbarkeit. Die Geschichte, die es erzählen soll, darf nicht infrage gestellt werden. Es ist die Geschichte der Gewalt des Meeres und des Windes im Hintergrund, die der erfahrene Kapitän im Vordergrund bezähmen kann. Das Auge ruht ganz auf dem hellen Gesicht; dem gegenüber ist der Hintergrund nur eine rauchige, fast düstere Andeutung. Der atmosphärische Eindruck ist glaubhaft, vor allem so, wie man ihn im Gedächtnis behält. Für den Hintergrund wandte ich eine skizzenhafte Technik an. Das offene Heckfenster, die Galerie mit dem wogenden Meer dahinter bedurften verschwommener Effekte. Sie erzeugen Entfernung und Licht, wobei der Eindruck der Wellenlandschaft dabei keineswegs geopfert wird.
Davor, dominant, doch fein nuanciert, die getreue Wiedergabe der wuchtigen Figur wie auch des Gesichtstypus: Kapitän de Bazán. Den pfauenblauen Überwurf, den er trägt, habe ich in Azurit und kostbarem Ultramarin ausgeführt.
Nur sein ewiges Grinsen habe ich nicht berücksichtigt; der ernste Ausdruck trifft ihn besser. Obwohl man die locker hingesetzten Pinselzüge zählen könnte, ist seine Persönlichkeit präsent und wirkt überzeugend. Ich denke, er kann mit seinem Abbild mehr als zufrieden sein.
»Tretet ein!«, rufe ich nun umgekehrt.
Langsam kommt Bazán näher. Ich konzentriere mich auf seine Mimik. Wie angewurzelt bleibt er plötzlich stehen. Seine Augen weiten sich, ziehen sich zusammen und weiten sich wieder. Ich weiß im gleichen Moment, er ist bis in sein Herz hinein berührt É
Langsam löst er sich, ergreift meine Hand und flüstert ehrerbietig: »Es ist Euer Geist - es ist diese Hand - die Hand Eures Willens!«, und nach einer Weile: »Ich bin vom Dasein Gottes überzeugt É

VIII La Superba

Aus den Erinnerungen
des Diego Rodríguez de Silva y Velázquez

Genua 1649
Genua, 11. März 1649

Ü
ber die Kapitänspforte des oberen Breitgangs der Nuestra Señora de Atocha betrete ich wippende Holzbretter, mit denen die Kuhl der Galeone und die Pier wie mit einer Nabelschnur verbunden sind.
Ich bin noch etwas taub auf meinem rechten Ohr. Kurz vor dem Anlegen an die Pier hat mich ein Salut, abgefeuert aus einer Falkone direkt neben mir, völlig überrascht É
Wenige Schritte noch, dann betrete ich den harten Granit der Hafenmole von Genua und werde spüren, dass ich endlich wieder auf festem Boden stehe. Einen Schritt, noch einen É Dann habe ich es erreicht. Ich meine, die feste Erde unter mir schwankt. Unsicher schreite ich auf dem ungewohnt festen Grund vorwärts. Ich stehe tatsächlich auf Mutter Erde! Nicht nur das: Ich stehe auf Italiens Boden, im Herzen der Christenheit, im Zentrum der Welt seit den Tagen der Römer, im Heimatland der begnadeten Maler und Bildhauer!
Ich bin dort angekommen, wo mein Ansehen als Maler und Kenner von den größten Autoritäten bestätigt werden wird und von wo ich die eindrucksvollsten Gemälde und Bildhauerarbeiten für das spanische Königreich erwerben werde. Wer Augen hat in Madrid, wird staunen und erfahren, welche Anerkennung der Berater des Königs in den Ländern Italiens gefunden hat! Ich werfe einen Blick nach oben und versuche durch die grauen und weißen Wolkenfetzen hindurch zu erahnen, welche Sternstellung es ist, die die kosmischen Energien in diesem Moment für mich, den Abgesandten Seiner Katholischen Majestät, des Königs von Spanien, bündelt.
Mit meinen Begleitern bin ich nach dem Trupp des Herzogs von Bord gegangen und stehe nun an der Spitze des langen Piers gegenüber dem Leuchtturm der Lanterna. Ich drehe mich herum und betrachte erneut die beeindruckende Kulisse Genuas. Ein breites Gesicht mit tausend Augen starrt mich an. Die prächtigen Häuser und kompakten Steinburgen der reichen Stadt wirken auf mich wie eine dicke Spinne, die am Meeresstrand hockt und danach trachtet, alle Reichtümer ferner Küsten mit ihrem lockenden Netz einzusammeln. Mit seiner hellen Steinfassade tritt leuchtend der Palazzo San Giorgio hervor, in dem die mächtige Banca di San Giorgio ihren Sitz hat. Der Glanz der marmornen Palastfassaden ist noch üppiger geworden, seit ich vor zwanzig Jahren das erste Mal hier stand. Die Kirchen wirken noch bescheidener als zuvor; so eingezwängt sind sie zwischen den immer höheren Fassaden der Wohnhäuser und Amtsbauten. Die dicken Mauern und Tore scheinen diese hoch aufragende Masse wie ein Sperrring zusammenzuschnüren. Die Kulisse um den Porto Vecchio konnte ich ja notgedrungen wochenlang vom Schiff aus studieren. In zahlreichen Skizzen habe ich diese Landschaft aus Stein festgehalten.
Die stolze Republik Genua ist seit Jahrhunderten die Verbündete unseres Königreichs Spanien, dessen Handelsschiffe schwer beladen hier anlanden und das sie als Durchgangstor für seine Soldaten braucht. Immerhin beginnen die Länder der spanischen Krone in einer Entfernung von nicht mehr als zwei Tagen gleich hinter den Bergen, die über der Stadt so mächtig aufsteigen. In jener Richtung liegt die weite Ebene der Lombardei, die die letzten hundert Jahre unser ist.
Juan und Esquivel haben auf meine Weisung hin das verbliebene Reisegepäck bewacht und bugsieren die Stücke nun vorsichtig über den Laufsteg zur Pier hinunter. Bravo! Fast sind wir vollständig - bis auf Rinaldo, den Zwerg.
Meine Gruppe hat unvorhergesehenen Zuwachs erhalten. Rinaldo ist mir von gestern auf heute einfach zugeteilt worden statt eines anderen Burschen, den ich mir als Begleitung durch Italien erhofft hatte. Aber als Anhängsel der herzoglichen Kolonne bin ich gezwungen, zu nehmen, was von diesen Wichtigtuern übrig bleibt. Hoffentlich komme ich mit dem Gnom zurecht! Er ist dem Herzog lästig geworden, seit seine Scherze ein Maß überschritten haben, sodass die Eitelkeit des Herzogs sie nicht länger ertragen konnte.
Hat er doch neulich an Deck pantomimisch eine deftige Verführungsszene zum Besten gegeben. Als die Herumstehenden johlten, verwarnte ihn der Conde Barojo im Namen des Herzogs. Daraufhin marschierte Rinaldo scheinbar beleidigt ab, wobei er in der typischen Art des Herzogs den linken Fuß nachzog. Ich war nicht der Einzige, den er mit dieser boshaften Anspielung amüsiert hat É
Gerade kommt der schrullige Kleine mit erhobenem Kopf von Deck spaziert, mit einem Sack auf seinen Schultern, auf den ein breiter Filzhut aufgebunden ist. Ich winke ihn zu mir her.
Er baut sich in seiner Komödiantenpose vor mir auf und macht einen übertriebenen Kratzfuß. »Brauchen Sie meine Dienste, edler Herr?«
»Ich habe einen Anspruch auf selbige!«, entgegne ich mit gespielter Strenge.
»Darf ich Ihnen helfen, dem armen Dogen von Genua ein paar Bilder abzukaufen?«, fragt er mich mit einer erhabenen Bassstimme. Dabei legt er seinen knollennasigen Breitschädel, so weit er kann, nach hinten.
»Ausgerechnet du? Wie könntest du das?«, frage ich amüsiert.
»Ich eile Euch als Herold voraus und rufe: ÝMein König braucht dringend noch eine nackte Göttin vom Maler Rubens, weil er nur hundert hat, doch erst mit zweihundert glücklich sein kann ÉÜ«
»Und du meinst, die Angebote purzeln dann nur so auf uns herunter?«
»Sicher, und zwar vom Dogen persönlich. Ich sage ihm: ÝSerenissimo, lassen Sie hundert Scudi nach, dann nimmt der König die Malerei sofort und zahlt vielleicht schon in zehn Jahren!Ü«
»Sei nicht so respektlos, Rinaldo! Du hältst jetzt besser deinen Mund, sonst wirst du vom Dogen noch wegen Majestätsbeleidigung eingekerkert!«
»Ich bitte um Vergebung, ich werde Euch nie mehr vorschlagen, ein Bild des Herrn Rubens zu kaufen. Nur noch Tizian É«
Ich lasse unser Gepäck auf den Karren eines dienstfertigen Kistenschleppers stapeln und ziehe mit diesem zusammen die lange Mole hinunter hinter unserem Haupttross her bis vor das Zollgebäude. Esquivel und der Zwerg bleiben als Wächter bei unseren Besitztümern und wehren aufdringliche Kreaturen ab, die uns umringt haben, um ihre Trag- und Schleppdienste anzubieten.
Eine Sache, die mir zuwider ist, muss noch in Gottes Namen erledigt werden: die Verabschiedung von der königlichen Delegation. Ich gehe in Begleitung von Juan zum Kreis unserer Reisegefährten, wo wir den Einzelnen kurz Lebewohl sagen. Der Conde Barojo wendet sich mit frostiger Miene ab. Ich lächle kalt und halte es bei den meisten anderen dieser Rotte ähnlich. Dem Herzog von Nájera muss ich jedoch protokollgerecht meine Reverenz entbieten. Er wendet mir einen gedankenverlorenen Blick aus verschwollenen Augen zu. Seine ausholende Armbewegung zum Abschiedsgruß bringt ihn beträchtlich ins Schwanken, sodass zwei Diener hinzuspringen, um ihn zu stützen. Er scheint die raue Abschiedsfeier an Bord nicht vertragen zu haben. Ich verneige mich ehrerbietig; die Loyalität gegenüber dem König erfordert dies. Doch in Gedanken spucke ich dem niederträchtigen Stellvertreter Seiner Majestät mitten in das aufgedunsene Gesicht.
Von den Stufen des Zollhauses herunter schallt ein Trompetensignal. Einer gerade vorgefahrenen zierlichen Kutsche entsteigen drei in roten Samt gekleidete junge Männer.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 16.03.2005