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Wie steht es denn mit den griechischen Figuren? Gibt es denn überhaupt hervorragende antike Statuen in Genua?«
»Das nicht. Ich müsste daher für die Genueser Hütte die Negativformen der ausgewählten Originale herbeischaffen. Am besten gleich in Abgussmodeln. Die erlesensten Statuen befinden sich im Besitz des Papstes und einiger Fürsten in Rom, an die ich allerdings erst herankommen muss.«
»Das heißt, die Abgüsse müssten erst nach Genua transportiert werden?«
»Du sagst es. Doch lieber geht mir ein Abgussmodel zu Bruch als eine neue Figur. Außerdem ist hier der Hafen nah und der Weg über See nach Barcelona so kurz wie von keinem anderen Punkt Italiens.«
»Wohl wahr É Doch sagt mir, Don Diego, was gibt es dort zu sehen, in dieser Gießerei?«
»Die Geburt der größten Bronzefigur in der Geschichte Genuas. In der Formerei von Meister Bianco wird gerade ein neues Bildwerk für den Hochaltar des Doms zum Guss vorbereitet. Ich bin dorthin eingeladen worden.«
Juan verbeugt sich, als wäre ich der König. »Wie großzügig von Euch, mich mitzunehmen«,
»Beeile dich, wir werden nach der Mittagssiesta erwartet. Der Meister selbst wird uns abholen.«
Die Kutsche lässt nicht lange auf sich warten. Giovanni Battista Bianco, ein etwa fünfzigjähriger beleibter Kahlkopf, öffnet mir das schlanke, offene Gefährt, während Juan sich neben den Kutscher setzt.
Biancos Augen beginnen zu leuchten. Unaufgefordert schwatzt er sofort los. Beginnt über die Errungenschaften der Republik Genua zu berichten und versäumt nicht, an jeder Straßenecke temperamentvoll belanglose Hinweise auf den Dogen und das Staatsregiment zu geben.
»Dies ist der Sitz des königlichen Zolls«, ruft er und zerrt an meinem Ärmel, »Seht, in dieser Straße liegt die königliche Münze! Habt Ihr die neugemalten Schilder mit der Aufschrift ÝKönigliches ForstamtÜ bemerkt?«
Ich fühle mich bedrängt und bestätige ihm zum Gefallen: »Ja, es sind prächtige Bauten und Schilder.«
Als er übertrieben seinen Dogen zweimal als Serenissimus bezeichnet, sträubt sich mein Inneres: »Ist Genua nicht eine Republik?«
»Natürlich sind wir eine Republik!«, erwidert Bianco.
»Warum wird der Doge dann wie ein König angesprochen? Ist er nicht eher eine Art Herzog?«
»Unser Doge hatte vor ein paar Jahren den Mut, sich die Krone selbst aufs Haupt zu setzen. Er hasste es, immer wieder hinter die Regenten erbärmlicher Kleinstaaten zurückgesetzt zu werden!«
Die eisenbeschlagenen Reifen rumpeln so laut über das Pflaster, dass ich meine Gegenfrage zweimal stellen muss: »Wieso zurückgesetzt? Genua hat doch einen eindeutigen Rang É«
»Der Heilige Vater hat den Dogen zum Handeln gezwungen«, räumt Bianco ein. »Der Heilige Stuhl hat das Protokoll eigenwillig ausgelegt, sodass unsere Republik nicht mehr als ein bedeutender Staat, sondern wie die kleinen italienischen Herzogtümer eingestuft wurde. Warum sollte unser Gesandter in Rom diesen den Vortritt lassen? Schließlich finanzieren wir die Höfe in Mantua, Parma, Modena und wie sie alle heißen.«
»Und wie konnte Euer Doge seinen Anspruch durchsetzen?«
»Der Rat der Republik Genua hat beschlossen, die Madonna zur Königin der Stadt zu erwählen. Sie ist jetzt unsere Schutzherrin und gibt dem Dogen ihren königlichen Auftrag. Sie verleiht ihm ihre Krone, die er sich selbst bei besonderen Amtshandlungen aufsetzt. Seitdem heißt alles Real in Genua. Selbstverständlich besitzen wir auch einen Palazzo Real. Schließlich geschieht es im Sinne unserer Königin«, sagt Bianco mit einem verschmitzen Lächeln.
So ein billiger Trick ist eine Zumutung für jede Christenseele, denke ich mir.
»Und wie weiß die Republik Genua, dass die Himmelskönigin damit einverstanden ist?«, verleihe ich meinem Staunen Ausdruck.
»Eben durch ein großes und prachtvolles Votivbild. Alle reichen Familien haben dazu beigetragen, einen neuen, mächtigen Hochaltar in Bronze für die Kathedrale San Lorenzo zu stiften. Der Guss ist mein Auftrag!«
»Oh. Ich beglückwünsche Euch dazu!«
Das Rumpeln der Kutsche lässt nur schwer eine fließende Unterhaltung zu, gleichwohl hake ich nach: »Von der Verwandlung eines Dogen in einen König habe ich noch nie gehört. Haben die anderen gesalbten Häupter das einfach zugelassen? Was hat denn unser allerchristlichster König dazu gesagt?«
Bianco macht eine ausholende Geste und setzt gerade zum Sprechen an, da werden wir nach vorn und wieder zurück geworfen. Das Gefährt schaukelt noch einmal zur Seite, und wir stehen.
»Wir sind da«, verkündet mein Begleiter.
Wir verlassen die Kutsche. Nach einigen Stufen steuern wir auf ein dunkles, rußgeschwärztes Gebäude zu.
An einem dicken Außenkamin, der Hitze abstrahlt, bleibt er stehen und wendet sich wieder an mich: »Ich möchte Eure Frage nicht unbeantwortet lassen. Könnt Ihr euch vorstellen, was das für ein Triumph für uns Genuesen war? Der Kaiser, England, Frankreich, Polen und sogar der Sultan haben das Königreich Genua anerkannt. Der Heilige Vater hat zwar erst getobt, doch dann musste auch er zustimmen.«
»Und unser König?«
»Hat dasselbe getan wie sein Vetter in Wien. Außerdem ist Genua mit dem König von Spanien verbündet«, sagt er wichtigtuerisch und sieht mich derart triumphierend an, dass ich mir in tiefster Seele gelobe, mich nicht vom Reichtum der Genuesen beeindrucken zu lassen.
Das Tor der Gießerei öffnet sich, und drei äußerst bleich aussehende Männergestalten treten heraus. Wir gehen auf sie zu. Bianco stellt sie mir als seine Gesellen vor. Danach betreten wir das düstere Gusshaus. Mir ist es unheimlich an diesem Ort. Der Ofen heult wie ein Rudel Wölfe, und die Hitze ist unerträglich. Bianco zeigt stolz auf einen fein aufgeschichteten Stapel von rötlich schimmernden Barren neben dem Ofen.
»Bestes Kupfer! Unsere Schiffe bringen das Metall aus Ragusa, Venedig und aus der Neuen Welt.«
Am Ende der Halle stößt er eine hohe Eisentür auf und führt mich und Juan in einen lichteren Nebenraum, offensichtlich die Formerei. Ein Leinenvorhang verdeckt einen massiven Aufbau in der Mitte des Raumes. Auf Geheiß Biancos wird der Vorhang zur Seite gezogen.
»Madonna!«, ruft Juan angesichts der düsteren Erscheinung aus und fasst mich am Arm.
Auf einem runden Wolkensockel thront dreifach lebensgroß die Maria mit dem Jesuskind und hält die rechte Hand nach vorn. Es ist eine gewaltige Figur von starrem Ausdruck. Im rotbraunen Wachs der Oberfläche wirken die Faltengrate besonders schroff. Ein schwerer Körper und ein kleiner Kopf mit schematisch geschnittenen Gesichtszügen glotzt mich an. Das ist unendlich weit entfernt von dem weichen, mütterlichen Ausdruck, den für mich das Bild einer Maria haben sollte. Ich finde dagegen meine gemalte Marienkrönung, die ich letztes Jahr für das Oratorium der Königin geschaffen habe, im Ausdruck viel besser.
Aber Bianco sieht das offensichtlich anders. »Ist sie nicht eine Pracht? Mit dem Einverständnis unseres Bischofs wurde der beste Bildhauer der Stadt, mein Freund Fiasella, beauftragt, die Figur in Ton zu formen und mit einer Wachsschicht die Oberfläche auszumodellieren«, erläutert er stolz. »So wie sie jetzt schon strahlt, werde ich sie in Bronze gießen. Sobald der Gussmantel aus Ton über die jetzige Figur gelegt und festgebacken ist, werde ich unsere Madonna in goldgleicher heller Bronze gießen und dann einige Partien mit reinem Gold überziehen! Das flüssige Metall wird das Wachs ausschmelzen und an seine Stelle treten.«
Juan blickt wortlos zu mir. Der Blick aus seinen tiefdunklen Augen signalisiert deutlich, dass er beim Anblick dieser Monstrosität dasselbe Unbehagen empfindet wie ich.
»Der Madonnenarm wird ein goldenes Zepter halten. Selbstverständlich von einem der besten Goldschmiede Genuas gefertigt! Genauso wie die große Krone über ihr«, protzt er und greift nach eine Skizze auf dem Arbeitstisch. »Seht Ihr die zwei kräftigen Engel? Die werden die Krone tragen, und die zwei anderen werden neben dem Wolkensockel schweben.«
»Unglaublich«, entfährt es mir, was Bianco aber als Lob deutet.
Plötzlich eilt er hinter das Standbild und deutet auf einen Tisch, auf dem ich zwei Skulpturen erblicke.
»Señor Velázquez! Urteilt selbst! Seht Euch die Engelskinder an. Sind sie nicht lieblich?«
Juan blickt gequält drein, als wir vor den kräftigen Kinderleibern stehen. Sie wirken auf mich wie zwei plumpe fette Kröten.
»Sollen nicht die kopierten antiken Skulpturen der Größe dieser Figuren entsprechen?«
»Ja, in etwa sollten sie diese Größe haben. Vielleicht etwas größer«, antworte ich Bianco.
»Wir haben die Oberflächen kaum nacharbeiten müssen. Nur die Stege und kleine Unebenheiten sind von uns abgeschliffen.« Daraufhin streichelt er über die Oberfläche. »Wie die Haut einer gepflegten jungen Frau!«
»Ihr arbeitet gut, Signor Bianco! Ich werde das, was ich hier sehe, mit den Arbeiten der anderen Gießereien vergleichen. Habt Verständnis dafür, dass ich erst nach meinen Besuchen in Florenz und Rom eine endgültige Entscheidung treffen kann«, sage ich selbstbewusst.
»Bedenkt, dass wir unsere Abgüsse in nur wenigen Wochen fertigen. Es soll Fälle gegeben haben, wo Auftraggeber glatte fünf Jahre warten mussten. Vom Ergebnis ganz zu schweigen É«, versucht er mich zu beeinflussen.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 18.03.2005