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Verzeihen Sie«, sagt er zu mir und unterdrückt seinen Husten, »dass ich in diesem Moment nicht stehen kann. Ich bin gerade erst von einem Fieber genesen und sehr schwach, da ich in den vergangenen Tagen mehrfach zur Ader gelassen wurde. Aber die Fürsorge der edlen Marquesa lässt mich wieder neue Kräfte schöpfen.«
»Verehrter Marqués, meine edlen Herren«, antworte ich, »Ihr Vertrauen in mich lässt mir Flügel wachsen und gibt meinen Anstrengungen neuen Schwung. Was ich tue, geschieht für unseren Souverän, der diesem Haus ein besonderes Zeichen zugedacht hat.« Damit winke ich Juan zu, der an der Tür gewartet hat und nun zwei Diener veranlasst, das in eine Stoffbahn gewickelte Gemälde herbeizutragen, das kurz vor uns hier eingetroffen war. Sie wickeln vorsichtig die Umhüllung erst des Rahmens und dann des Bildes ab, schieben das Bild in den Rahmen und stellen es auf den Kaminsims. Da erhebt sich nun in natürlicher Größe und Höhe die Halbfigur des Königs und blickt uns frontal an.
»An vielen Orten ist unser Herrscher gegenwärtig durch seine Gestalt aus der Hand eines Malers oder Bildhauers«, erläutere ich, »in allen Behörden des Königreiches: In den Gerichtssälen, den Rathäusern, den Versammlungssälen blickt er uns an und von den wertvollen Münzen, die wir in die Hand nehmen. Mit diesem sichtbaren Zeichen versichert er uns seiner Liebe, Treue und Gerechtigkeit. Die meisten dieser Abbilder sind nur schematische Kopien. Mit diesem Bild hier, das ich aus der unmittelbaren Anschauung unseres Souveräns gemalt habe, wollte ich seine gewinnende Nähe festhalten, so wie er noch vor wenigen Wochen mit mir sprach. Es ist mein, aber auch sein Geschenk. Durch mich überreicht er es Ihnen und allen Gästen dieses vornehmen Hauses.«
Die Anwesenden stellen sich achtungsvoll davor. Niemand wagt das andächtige Schweigen zu unterbrechen. Doch plötzlich legt ein Beifallssturm los. Der Marqués de la Fuente stützt sich mühsam hoch, schwankt auf mich zu und tut etwas völlig Unerwartetes: Er greift nach meinen Schultern, zieht meinen Kopf zu sich und gibt mir einen laut schmatzenden Kuss auf beide Wangen.
»Ja, er ist es. Unser König! Er ist Ihnen zu Recht gewogen, denn Sie haben ihn so ins Bild gebannt, als ob er atmet und uns prüfend zuhört. Man meint, seine Gegenwart erfüllt diesen Raum«, sagt er fast andächtig. Daraufhin lässt er sich wieder zu seinem Sessel führen. Nachdem er Platz genommen hat, fixiert er erneut still das Porträt.
Nach einer Pause fügt er hinzu: »Ihre Leistung sichert Ihnen hier ein besonderes Willkommen. Sie sollen wissen: Von heute an sind Sie in diesen Räumen mehr als ein Gast, nämlich ein immer gern gesehener Freund.«
Wieder brandet Beifall auf. Die Augen des Marqués sind feucht. Ich spüre den überwältigenden Moment einer uneingeschränkten Anerkennung, die mich mit Stolz erfüllt.
Während die Anwesenden im Näherkommen und Zurücktreten vor dem Bild die Augentäuschung meiner Darstellungsweise bewundern, wendet sich der Marqués nochmals an mich: »Richten Sie sich ein, und fühlen Sie sich wohl auf diesem Flecken spanischen Bodens. Lassen Sie sich und Ihren Begleitern unsere auserlesenen Speisen reichen. Wenn Sie danach einen Gang in die nahe gelegenen Kirchen und Klöster unternehmen wollen, steht unser gelehrter Kaplan zu Ihrer Begleitung bereit. Ich erwarte Sie am späten Nachmittag im Garten«, sagt er in sanftem Ton.
»Habt Dank! Im Namen des Königs und meiner Wenigkeit.«
Daraufhin gibt er ein Zeichen, worauf ihn seine beiden Diener aus dem Sessel ziehen und ihn mühsam hinausgeleiten.
Die Schönheit der Bauten und Plätze, der Reiz der Durchblicke und der erhebende Anblick anspruchsvoller Fassaden, Kreuzgänge und Kirchenräume voll prächtiger Bilder und Figuren haben die Zeit verfliegen lassen. Erst als ich wieder im Hause meines Gastgebers stehe, wird mir bewusst, wie viel ich gesehen habe. Seiner Einladung folgend finde ich mich in dem kleinen, ruhigen Garten ein, wo er sich auf einer Bank ausgestreckt hat. Er stützt sich hoch und winkt mich heran, und ich nehme ihm gegenüber Platz.
»Großer Maler, Sie sehen gesund und unternehmungslustig aus. Um Ihre herrliche Aufgabe sind Sie wahrlich zu beneiden«, begrüßt er mich mit einem hintergründigen Lächeln.
»Oh, ich fühle mich nach den Strapazen der Reise sehr ermüdet. Doch die Schönheiten Venedigs lassen mich alle Anstrengungen vergessen«, erwidere ich ebenso freundlich und bin gespannt, worauf seine Andeutungen zielen.
»Vor vier Monaten erreichte mich der Brief des Königs, dass ich Ihnen bei der Suche nach den hervorragendsten Bildwerken und Malereien für die neugestalteten Säle seines Palastes zur Seite stehen soll. Ich habe mir Gedanken gemacht und die Kenner unter meinen Freunden befragt, aber ich wurde immer unsicherer, was der König erwartet. Geschickte Maler gibt es schließlich heutzutage viele. Aber die Frage ist, was er sucht und welche Ansprüche er stellt. Wie soll nun meine Hilfe wirksam werden?«
»In erster Linie freue ich mich sehr über Euer Angebot«, erwidere ich dankbar. »Nun, unser König will das Beste und Teuerste haben und den anderen großen Fürsten nicht nachstehen. So, wie es dem Herrscher eines Weltreichs gebührt. Aber seine Berater haben ihm verschiedene Antworten gegeben, worin die vornehmste Ausstattung seiner Räume besteht.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Ihr Sachwalter, der Graf Malpica, etwas anderes empfohlen hat als Sie selbst?«
»Ich maße mir nicht an, die Überlegungen von Beauftragten des Königs zu kritisieren. Aber die Großen des königlichen Rats waren wohl in ihrer Mehrzahl dafür, die Ausstattung des Schlosses in bewährter Weise vorzunehmen. Es sollten die üblichen Bildfolgen über die Weisheiten des Herrschens, die Ideale der Philosophie und die großen Taten der Weltgeschichte von geeigneten Malern an Wänden und Decken der neuen Räume angebracht werden.«
»Dazu müssten Sie allerdings sehr gute Freskanten finden É«
»Allerdings! In Spanien fehlen gebildete und geübte Wandmaler völlig, aber auch das, was heute achtbare Maler aus Bologna oder Rom schaffen können, ist weit entfernt von den großen Bildgedanken der Zeit unserer Urgroßväter.«
»Das heißt, wenn er Größe zeigen will, muss er Werke der Vergangenheit erwerben.«
»So erscheint es mir. Für mich ist die Zeit der gemalten Poesien vorbei. Welcher Maler auch beauftragt wird, die Gemächer mit Fresken zu verzieren, er kann vielleicht eine angenehme Dekoration bieten, aber wird niemals einem Raffael oder auch Carracci ebenbürtig sein. Und unser König würde nur einen mageren Abklatsch von dem bekommen, was an Bilderpracht beim Papst zu finden ist. Es wäre weniger als das, was noch vor einem halben Jahrhundert und mehr dem Kardinal Farnese in Rom und dem König von Frankreich in Fontainebleau geglückt ist. Jeder Regent müsste feststellen, dass die Residenz von Madrid gegenüber Rom eine ärmliche Provinz ist.«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 25.03.2005