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»Gemeinschaftsschule kein Thema«

100 Gäste bei Podiumsdebatte in Sennestadt mit Ministerin Ute Schäfer

Von Gerhard Hülsegge
(Text und Fotos)
Sennestadt (WB). Die Gemeinschaftsschule für alle bis Klasse 9 oder 10 nach möglicherweise schleswig-holsteinischem Vorbild ist für die SPD bis zur Landtagswahl am 22. Mai in Nordrhein-Westfalen kein Thema. Das hat NRW-Schulministerin Ute Schäfer am Donnerstag in Sennestadt erklärt.

Sie lehne eine Schulstrukturdebatte zum jetzigen Zeitpunkt ab, erklärte die SPD-Politikerin im Kabinett von Ministerpräsident Peer Steinbrück anlässlich einer Podiumsdiskussion der Sennestädter Sozialdemokraten zum Thema »Die Jugend ist unsere Zukunft Ñ was tun wir für ihre Ausbildung?« Knapp 100 interessierte Besucher waren in den Bürgertreff des Sennestadthauses gekommen, um auch mit Wissenschaftlern, Pädagogen, Ausbildern und Elternvertretern zu diskutieren. Die Moderation hatte Dieter Burkamp.
Während im Norden der Republik SPD und Grüne mit dem Südschleswigschen Wählerverband (SSW) als dänische Minderheit intensiv darüber beraten, nach knapp gewonnener Wahl die Gemeinschaftsschule (unter Verzicht von Haupt- und Realschule) einzuführen, graut Ute Schäfer jedenfalls momentan vor einer »ideologisch überfrachteten Debatte« und einer »aberwitzigen Einheitsschul-Diskussion«. Stattdessen müsse jede einzelne Schule gestärkt werden. Dann könne man vielleicht später die Diskussion »ohne Scheuklappen« führen.
»Veränderungen gehen nur im Konsens mit den Menschen«, sagte die ehemalige Lehrerin aus dem lippischen Lage. Zurzeit jedenfalls lasse man sich auch vom politischen Gegner die Diskussion über eine Abschaffung des gegliederten Schulsystems nicht aufzwingen.
Dass Letzteres trotz aller Reformversuche nicht ohne »Bildungsbarrieren« ist, beklagte Dr. Christian Palentien von der Fakultät für Pädagogik an der Universität Bielefeld. Und er betonte: »Bildung passiert auch außerhalb der Schule«. Sogar zu 70 Prozent, wie die Ministerin bestätigte. Die offene Ganztagsschule sei eine Antwort auf das schlechte Abschneiden der deutschen Schülerinnen und Schüler in den PISA-Studien.
Dr. Wolfram von Moritz, Leiter der Hans-Ehrenberg-Schule in Sennestadt, warnte vor einer Renaissance der »Paukschule«, einer Überforderung der Lehrer sowie der Verschleuderung von Ressourcen. So habe das evangelische Gymnasium unter der Ägide von Gabriele Behler brav die Profil-Oberstufe mit fachübergreifenden Arbeiten in Angriff genommen, um dann von der Nachfolgerin Ute Schäfer mitgeteilt zu bekommen, das alles sei nicht mehr verpflichtend. »Da wurde viel Zeit für eine wichtige Sache verpulvert«, klagte von Moritz.
»Wer sorgt dafür, dass es hier in der Stadt vorwärts geht?« fragte Thomas Wandersleb, Jugendpfarrer und Mitglied der Elternpflegschaft am Bielefelder Helmholtz-Gymnasium. Lehrermangel und zu große Klassen Ñ die Rahmenbedingungen seien »katastrophal«. »Treten Sie ihren Kommunalpolitikern auf die Füße«, riet die Ministerin. Mehr Geld könne sie nicht locker machen.
»Es kann nicht sein, dass jährlich 20000 Hauptschüler ohne Abschluss zu uns ins Handwerk kommen«, meinte Helge Peitsch. Der Konditormeister und ehemalige Vize-Präsident der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe sprach sich dafür aus, nicht nur die mittelständischen Betriebe mit immer höherer Gewerbesteuer zu belasten, sondern auch die Kapitalgesellschaften zur Kasse zu bitten, damit mehr Geld für die Bildung ausgegeben werden kann.

Artikel vom 11.03.2005