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Jede Woche eine: Sprachen
sterben immer schneller

Volkswagen-Stiftung unterstützt Projekt in Sibirien

Von Rudolf Grimm
Hamburg (dpa). Die Zahl der Tierarten nimmt weltweit ab. Die Zahl der Sprachen ebenfalls. Beides ist ein Verlust an Vielfalt. Bei den bedrohten Sprachen ist der Trend unumkehrbar. Von den mehreren tausend noch lebenden Sprachen werden nach Schätzung von Forschern auf lange Sicht nur einige hundert übrig bleiben.

Viele der sterbenden Sprachen sind keine Schriftsprachen wie die eines Tartarenvolks in Zentralsibirien. Sie ist eine der mehr als 40 bedrohten Sprachen, deren Dokumentation die Volkswagen-Stiftung (Hannover) finanziert. Sie hat für diese Arbeit in vier Jahren 9,25 Millionen Euro ausgegeben. Von den 400 Angehörigen des Jäger- und Rentierhirtenvolks der Mittleren Chulym sprechen nur noch 40 ihre Muttersprache.
Von den weltweit noch »lebenden« 5000 bis 6000 Sprachen werden im Laufe des 21. Jahrhunderts aller Voraussicht nach zwei Drittel aussterben - fast jede Woche eine. Bei diesen Zahlen ist zu bedenken, dass 5000 Sprachen von weniger als 100 000 Menschen gesprochen werden. Vor 10 000 Jahren, als eine Million die Erde bevölkerten, gab es schätzungsweise 10 000 bis 15 000 Sprachen.
Sprachen sind schon zu allen Zeiten gestorben, aber noch nie so viele so schnell. Gründe sind der globale Trend zur Anpassung, die Massenmedien, die Feindschaft vieler Regierungen gegenüber Minderheitensprachen, bessere Möglichkeiten für den beruflichen und sozialen Aufstieg mit einer Sprache, die möglichst viele Menschen sprechen. Mit Englisch, Spanisch, Portugiesisch und Französisch ist vielfach ein höherer Lebensstandard verbunden.
Die Betreuerin des Programms der VW-Stiftung, Vera Szöllösi- Brenig, wurde einmal gefragt, ob weniger Vielfalt nicht eher ein Vorteil sei, weil die Menschen so leichter kommunizieren könnten. Ihre Antwort: »Wir betrachten heute Diversität und überdies die ganze Geschichte der Menschheit als Reichtum.« Unter den von der Stiftung finanziell unterstützten Forschern sind David Harrison vom Swarthmore College (USA) und sein Kollege Gregory Anderson vom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie. Seit 1995 fliegen sie fast jedes Jahr nach Sibirien, wo es viele weitere sterbende Sprachen wie die der Chulym gibt. Meist beherrschen nur noch die älteren Angehörigen einer Gemeinschaft solche Sprachen. Mit viel Geduld versuchen Harrison und sein Kollege sie zum Reden und Erzählen zu bringen.

Artikel vom 11.03.2005