11.03.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Visa-Affäre: Rot-Grün kritisiert
Richter wegen Schleuser-Urteils

Ausschuss vernahm Juristen - Sechs zusätzliche Sitzungen vereinbart

Berlin (dpa/ddp). Die Union hat ihren Vorwurf gegen die Regierung nicht erhärten können, sie habe durch liberale Visa-Erlasse Schleusertum gefördert. Im Untersuchungsausschuss zum Visa-Missbrauch räumte ein Richter gestern ein, den Volmer-Erlass vom März 2000 (»Im Zweifel für die Reisefreiheit«) als strafmildernd gewertet zu haben, ohne ihn im Wortlaut zu kennen
Union und Rot-Grün einigten sich zuvor auf sechs zusätzliche Ausschusssitzungen bis zum Sommer. Weiter unklar blieb der Termin für die Aussage von Außenminister Joschka Fischer (Grüne).
Der in einem Schleuser-Verfahren in Memmingen (Bayern) beisitzende Richter Clemens Ulbrich sagte vor dem Untersuchungsausschuss, auf Grund der ihm - nur aus der Zeitungslektüre bekannten - Kernaussage des Volmer-Erlasses sei die Kammer zu der Erkenntnis gekommen, »dass eine wohlwollende und keine kritische Prüfung« der Visa-Anträge gewünscht gewesen sei. Dies sei aber nicht der einzige Grund für die Strafmilderung gewesen. SPD-Obmann Olaf Scholz kritisierte, die Richter hätten es sich zu leicht gemacht. Niemand dürfe das, was er in der Zeitung gelesen habe, als Grundlage für ein Urteil nehmen.
Das Landgericht Memmingen hatte Ende November 2004 zwei Männer wegen Schleusung zu Haftstrafen verurteilt, ihnen aber Strafmilderung gewährt. Als Grund hatten die Richter die unkritische Prüfungspraxis der Auslandsvertretungen angegeben, die »auf politischen Wunsch« der Bundesregierung die Visa-Anträge »wohlwollend behandelt« hätten. Der Grünen-Obmann Jerzy Montag sagte: »Die Strafzumessungsgründe waren ein politisches Geschenk an die Angeklagten und auch die Opposition.« CDU-Obmann Eckart von Klaeden verwies vor allem auf die Aussagen von zwei Beamten des Bundesgrenzschutzes (BGS). Danach gebe es einen Zusammenhang zwischen der Erlasslage und der Zunahme der Schleuserkriminalität. Von 2002 an habe es zudem »erhebliche Kommunikationsstörungen« gegeben, weil der BGS sich nicht mehr unmittelbar an die Visa-Stelle der Kiewer Botschaft habe wenden können. FDP-Obmann Hellmut Königshaus sagte: »Die Erlasslage hat zu der fatalen Entwicklung geführt.«
Der Staatsanwalt in dem Memminger Prozess, Wolfgang Maier, entlastete jedoch die Bundesregierung von dem Vorwurf, durch ihre Visa-Praxis Schleusern das Handwerk erleichtert zu haben. »Für mich haben Erlasse persönlich nie eine Rolle gespielt«. Er habe sich auf die Täter konzentriert, die eine »enorme kriminelle Energie« entwickelt hätten, um die Visa-Unterlagen zusammenzubringen. In der rechtlichen Würdigung der Strafzumessung sei er anderer Meinung als die Kammer gewesen.
Der Hauptbeschuldigte im Memminger Prozess hatte mit Scheineinladungen und fingierten Reiseprogrammen etwa 2800 Ukrainer und Russen nach Deutschland geschleust. Ein BGS-Beamter bescheinigte der Botschaft in Kiew bei den Ermittlungen eine »schnelle, reibungslose und entgegenkommende Zusammenarbeit«. Die Botschaft sei aus ermittlungstaktischen Gründen bereit gewesen, weitere Visa-Anträge anzunehmen, um den Täter zu überführen.
Die geschleusten Ukrainer reisten weiter nach Spanien, Italien oder Portugal, um dort illegal zu arbeiten. Nur in 175 Fällen konnte der Aufenthaltsort herausgefunden werden. Die Ermittlungen für den Memminger Prozess begannen Anfang 2001. Ausschussvorsitzender Hans-Peter Uhl (CSU) sagte, es müsse geklärt werden, wie es zu der »modernen Form des Sklavenhandels« habe kommen können.

Artikel vom 11.03.2005