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Leitartikel
»Glückspilz« Laurenz Meyer

Geht noch
mehr den
Bach hinab?


Von Rolf Dressler
Natürlich kann Otto Normalbürger diesen oder jenen gewählten Politikschaffenden bei passender Gelegenheit durchaus auch einmal in Richtung moralisches Gewissen ansprechen. In den allermeisten Vier-Augen-Fällen aber zieht das Gegenüber prompt die altbekannte Abwehrkarte, frei nach der Melodie:
- »Ach, wissen Sie, schwarze Schafe gibt es überall ...«
- Oder: »Also, wenn Sie wüssten, wie die Sache tatsächlich gelaufen ist, kämen Sie aus dem Staunen überhaupt nicht mehr heraus. Ich warne daher grundsätzlich vor Pauschalverdächtigungen und Vorverurteilungen...«
So oder ähnlich ließen sich eilfertige Schützenhelfer vernehmen, als ruchbar wurde, dass etwa die FDP-Bundestagsabgeordnete Ulrike Flach für Übersetzerdienste vom Siemens-Konzern mit stolzen 60000 Euro Jahressalär entlohnt werde. Oder dass Sigmar »Doppel-Zunge« Gabriel von der SPD beim Weltunternehmen VW in fürstlichem »Berater«-Sold stehe.
Eine noch üppigere Ernte indes verbuchte in dieser Woche ein Glückspilz von der CDU: Satte 400000 Euro Abfindung überweist der Essener Energie-Riese RWE einem langjährigen leitenden Mitarbeiter, dem geschassten CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer, und entlässt ihn pikanterweise zugleich rückwirkend zum 31. Dezember 2004 aus seinem Anstellungsvertrag. Aber nicht nur das. Gleichsam als Sahnehäubchen obendrauf lässt RWE der SOS-Kinderdorf-Organisation eben jene 100000-Euro-Spende zukommen, die Laurenz Meyer nach eigenem öffentlichen Bekunden aus zu viel erhaltenen RWE-Bezügen selbst hatte leisten wollen.
Peinlicher geht's kaum mehr. Der Beigeschmack könnte schaler nicht sein. Flach, Gabriel, Meyer - Siemens, VW, RWE und, und, und: gebunden an Weisungen »wg.« Überweisungen? Immer neue Zweifel keimen auf an der verfassungsgemäßen Unabhängigkeit diverser Volksvertreter.
Sind 3000, 4000 oder 5000 Euro pro Monat im Ernst noch Bagatellgrößen im Range von Neben(bei)- einkommen? Und, Achtung: Sollte man sich dazu in diesen rot-grünen Systemreformer-Zeiten mit Kritik nicht besser tunlichst zurückhalten, weil fortan auch niemand mehr wegen seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei als Neben- oder gar Doppelverdiener diskriminiert werden darf ...?
Gänzlich abwegig erscheint das jedenfalls nicht. Denn schließlich kann nun doch auch niemandem mehr die Aufnahme in den Polizeidienst verwehrt werden, nur weil er keinen Oberlippenbart trägt, wie unlängst die »Welt« witzelte. Und wehe dem, der den Diskriminierer eines Diskriminierers als Diskriminierdiskriminierer diskriminiert ...!
Die Mär von der unendlichen Geschichte: Nicht die kritische Debatte über immer dreistere Mitnehmer-Praktiken schadet dem Ansehen der Politiker, sondern de- ren eigenes (Fehl-)Verhalten. Ursache und Wirkung sollte man bekanntlich sehr sorgsam auseinanderhalten.
Sonst geht in Deutschland noch weit mehr »den Bach 'runter«.

Artikel vom 12.03.2005