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Hier kommt Prince Charming

Norman Siegel: Ein Pflegedienstleiter auf dem Weg zum Filmstar

Von Matthias Meyer zur Heyde und Bernhard Pierel (Foto)
Bielefeld (WB). Schuh des Manitu? Uff. Otto-Filme? Gähn. Witzischkeit kennt keine Grenzen, Witzischkeit kennt kein Pardon, wenn sich das deutsche Kino an der Komödie vergreift. Doch immer wenn du denkst, es geht nicht mehr . . . Gestatten: Norman Siegel. Der neue Stern der Comedy. Aus Bielefeld-Brackwede. Woher denn sonst?

Wie kann einer nur so fertig sein?, fragte man sich links und rechts des Teuto, als im Juni vergangenen Jahres der Chef eines kleinen, aber sehr charmanten Pflegedienstes 13 050 Euro hinblätterte, um in einer obskuren Filmkomödie mitspielen zu dürfen. Einen Schwulen unter lauter WG-Heimchen. Unter einem Regisseur, der so wenig Kohle hatte, dass sich seine Darsteller - ausnahmslos Laien - per Internet-Gebot einkaufen mussten.
Heute lacht keiner mehr. Schauspieler, deren Namen jeder kennt, baten händeringend darum, mit Norman Siegel vor der Kamera stehen zu dürfen - aber Regisseur Ralf List blieb eisern: »Wer ist eigentlich Paul?«, die etwas andere, die spritzige Komödie, die im Spätsommer in den Kinos anläuft, soll mit Hilfe von unverbrauchten Gesichtern funktionieren.
Na ja, keine Regel ohne Ausnahme: Frank »Das-Ende-des-deutschen-Schlagers« Zander kriegte einen kurzen Auftritt. Und zwar an der Seite der »Miss Germany 1999«, der hinreißenden Yvonne Wölk. 89-60-89. Drei Zahlen, die miteinander multipliziert, exakt ein Zehntel der Zuschauer ergeben, die sich beim Auftritt von Norman & Co. kichernd in den Kinosesseln krümmen werden, wenn die Experten mit ihrer Prognose Recht behalten.
»Die Leute von RTL haben uns keine Chance gegeben - die wollten abwarten, bis wir gescheitert wären, und dann die Idee mit der Rollenversteigerung für eigene Sendungen abkupfern«, erzählt der knapp 29-jährige Jungschauspieler. So kann man sich täuschen. »Ralf Lists These, dass man mit Geduld, Einfühlungsvermögen und Idealismus auch Laien zu kinoreifen Leistungen anspornen kann, hat sich glänzend bestätigt.«
So gut ist Siegels Debüt geworden, dass der Filmverleih den geplanten 90-Minüter in einen Zwei-Stunden-Film umbaut. »Es gibt jede Menge gute Gags, die man nicht ohne Not unter den Schneidetisch fallen lassen will«, berichtet Siegel stolz.
Urlaub hat sich der Hansdampf abgeschminkt, und der Pflegedienst an der Senner Straße läuft - trotz des Enthusiasmus' seiner 20 Angestellten - auch nicht von alleine, aber das beflügelt den umtriebigen Altenpfleger geradezu: Prince Charming segelt auf Erfolgskurs. Denn »Wer ist eigentlich Paul?« war nur der erste Schritt. »In Kürze spiele ich die Hauptrolle in der Ruhrpott-Komödie ÝDer Prinz von Wanne-EickelÜ, einen abgefahrenen Studenten, dem ein Adliger zwei Millionen bietet, wenn er dessen Tochter heiratet.« Natürlich verliebt sich der Hallodri in eine andere.
Diese junge Dame - Siegel nennt sie neckisch »meine Gegenspielerin« - ist ihm so sympathisch, dass er sich schon jetzt auf die Kuss-Szenen freut. »Aber ans Verlieben denke ich im Moment nicht«, sagt treuherzig der Single (lange dunkle Haare, hanteltrainiert, charmant, flippig, musikalisch).
Siegel, der Gitarre spielt wie weiland Ritchie Blackmore von Deep Purple oder Angus Young von AC/DC, hat noch ein weiteres Eisen im Feuer: »Den ÝPrinz von Wanne-EickelÜ wollten mein Schauspielerkollege Jürgen Olbrück und ich mit ein paar Takten unterlegen, aber dann kamen die Jungs an und meinten, wir wären schön blöd, wenn wir daraus keinen kompletten Song machen würden.« Im Kölner Studio »Audiospray«, gerade erst gegründet von zwei ebenfalls auf der Überholspur durchs Leben fegenden Musikfreaks, entstand »Willkommen im Leben«. Noch gibt's nur Trailer, aber soviel ist schon jetzt sicher: Dat Dingen is' 'nen Ohrwurm, wie's im Pütt heißt. Ein Chart-Stürmer. Rockig, witziger Text - das Publikum im Essener Cinemaxx war bei der Premiere futsch und weg.
Logische Folge: ein Gute-Laune-Song, den ein beliebter Schlagersänger interpretieren will (»nur so aus Jux«), und ein TV-Film, dessen Inhalt und Mitspieler noch so supergeheim sind, dass von überallher sonnenbebrillte Kleiderschränke näherrücken, sobald man nur danach zu fragen wagt.
»Aber der Dienst an hilfsbedürftigen Menschen hat Vorrang vor der Show«, schwört Siegel. Gerade hat er im Schulterschluss mit der CDU-Politikerin Angelika Gemkow vor Bielefelder Gesundheitsexperten einen Vortrag gehalten, woran es in der Altenpflege hapert und wie diesen Missständen abzuhelfen wäre.
Dazu musste er sich in einen Anzug zwängen, und wenn Norman Siegel eines hasst, dann sind es Auftritte im feinen Zwirn. Völlig okay: Die Senioren, die sein Kommen jeden Tag froh erwarten, mögen ihn nämlich viel lieber in T-Shirt und Lederjacke, den lockeren Prinzen aus Brackwede.

Artikel vom 11.03.2005