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Der Traum des kleinen Franz

Poetische Sprachspiele: Karin Hensels »Kalka« wird heute uraufgeführt

Bielefeld (WB/mzh). Worauf gründet unsere Gesellschaft? Genau: auf Sex, Geld und Macht. Die hätte Franz Kalka auch gerne. Kriegt er aber nicht. Dafür ein nach ihm betiteltes Theaterstück, das heute im TAM uraufgeführt wird.

Zwar ist Karin Hensel, die Sprachmagierin aus Chemnitz, gerade auf Lesetour mit einem Roman (»Falscher Hase«), aber ihre Liebe gehört wohl doch der Lyrik. Auch »Kalka«, das Stück, dessen Titel bewusst Assoziationen zu Franz Kafka wecken will, lebt vom Umgang mit den Melodien und den Rhythmen des gesprochenen Wortes. »Eine einfache, klare Geschichte, sprachartistisch erzählt, so dass sie auffällt in der Masse moderner Dichtung« - geradezu hymnisch feiert Chefdramaturg Uwe Bautz das 80-Minuten-Stück über den linkischen Bankangestellten Franz Kalka (Mathias Reiter) und seinen Traum.
Kalka aus dem Winzkaff Niebel bei Berlin möchte so werden wie sein Chef Schmer (Max Grashof), ja, er will ihn sogar überflügeln. Sein Beruf verlangt Unterordnung, aber die niedliche Puschel inspiriert ihn zu ehrgeizigeren Zielen. Puschel (Christina Huckle) kam eigentlich in die Bank, um Schmers erotische Wünsche zu befriedigen, aber weil der Chef ein Charakterkrüppel ist, verliebt sich das als Mädchen für alles gedemütigte Ding in den sensibleren Kalka. Das kann nicht gut gehen, und das geht auch nicht gut.
Die Autorin möchte die verdeckten Strukturen der Gesellschaft sichtbar machen, heimliche Mechanismen entlarven, und zu diesem Zweck betreibt sie ein Spiel mit der Sprache. Ein poetisches Spiel, denn Karin Hensel zaubert ein trügerisches Leuchten auf Sätze und Satzfragmente, die plötzlich als das enttarnt werden, was sie schon immer waren: Floskeln und Phrasen.
Nach einem Casting (das WEST-FALENBLATT berichtete) fanden sich sechs Bielefelder Bürger, die - in einer hübschen Replik auf den Chor der griechischen Antike -Êdas Geschehen kommentieren. »Ich habe von den Laien das gleiche verlangt wie von ausgebildeten Schauspielern«, erklärt Regisseurin Olga Wildgruber, die Bielefelds Theatergänger in der vergangenen Spielzeit mit »Girlsnightout« erfreute. Claudia Rüll Calame-Rosset gestaltet die Bühne, wie es sich für ein Stück gehört, das in der Welt des Geldes spielt, legt den Zuschauer aber trotz Galerie und zentralem »Metal Exchange«-Kreis nicht auf einen realen Raum an der Börse fest.
Nach der heutigen Uraufführung (20 Uhr) sind im TAM weitere Vorstellungen geplant am 17./18./19. März, am 5. und 12. April, am 18. Mai sowie am 1./2. und 5. Juni.

Artikel vom 11.03.2005