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Wenig später haftet seinen Befehlen zum Bergen der Segel etwas schrecklich Wüstes und Kassandrahaftes an, was meine böse Vorahnung noch verschlimmert. Die Männer aus den Masten tragen zwar dick auf, doch meine Fantasie reicht nicht aus, um mir die nächsten Stunden vorstellen zu können É

23. Januar 1649 / 2. Wache
D
umpf rollen die Seen seit Stunden gegen den gequälten Leib der Nuestra Señora de Atocha, die unter den Hieben, welche Neptun in despotischem Zorn austeilt, stöhnt, ächzt und erbebt. Dazu ertrinke ich in einer Orgie von Lärm. Es jault, orgelt und pfeift über mir in allen Tonlagen. Manchmal glaube ich ein verzweifeltes schrilles Kreischen zu vernehmen, das wie Angstschreie gequälter Lebewesen in meinen Ohren gellt. Dazwischen dröhnt es im Rumpf markerschütternd wie von tausend Trommeln.
Die Galeriefenster sind vernagelt. Es herrscht vollkommene Dunkelheit in meiner Kajüte. Kerzenlicht ist bei diesem Orkan strengstens verboten. Ich halte es in meinem verschalkten Logis nicht mehr aus. Seit geraumer Zeit versuche ich im Dunkeln meine Reisekiste festzuzurren, die sich trotz Schlingerleiste, Keile und Laschings selbstständig gemacht hat. Ich selbst wäre mehrmals aus meiner Bettkiste katapultiert worden, hätte ich mich nicht rechtzeitig mit Händen und Füßen diagonal gegen die Langbretter der Koje gepresst. Längst habe ich begonnen, mir auszumalen, was wäre, wenn das Schiff leckschlagen würde. In Gedanken sehe ich mich schon in tosender See schwimmen, als leichte Beute zahlreicher Ungeheuer, die nur darauf warten, ihr Futter abzuholen É Doch ich vertraue dem Kapitän weiter unbeirrt, dass er und sein Schiff diesem Ansturm widerstehen.
Man hat mir geraten, auf die Planken meiner Kajüte mit Salz vermischte feine Sägespäne zu streuen, was den Füße besseren Halt geben würde. Doch in diesem Aufruhr der Elemente bietet weder ein Bodenbelag irgendwelchen Halt, noch können meine federnden Knie die heftigen Bewegungen des Schiffes völlig ausgleichen. Akrobatisch zwänge ich mich in meine wasserabstoßenden Kleidungstücke. Danach gleite ich mühsam aus meiner Kajüte.
Während eine harte Böe das Schiff trifft, werde ich wie ein Spielball bis zum Niedergang des Halbdecks geschleudert. Gleichlaufend mit meiner unsanften Landung an den kantigen Stufen ist ein irres, wütendes Knallen in der Takelage hörbar. Im selben Augenblick rauscht ein Schwall Wasser kaskadenartig die Stufen herab. Eine schwere See scheint über das Schanzkleid eingestiegen zu sein, die zudem das Niedergangsschott überflutet haben muss. Mit einiger Kraftanstrengung ziehe ich mich hoch, spreize meine Beine ein und warte auf einen günstigen Moment, um mich ein Stück weiter nach oben zu hangeln.
Dort angekommen, sehe ich, dass vier Rudergänger den Kolderstock halten. Ihre Arbeit sieht trotz des schweren Wetters mühelos aus. Erst auf meine Frage hin bekomme ich zur Antwort, dass seit Beginn des Sturmes die Ruderpinne über ein Taljensystem in der Konstabelkammer bewegt wird. Die doppelt besetzte Ruderwache ist notwendig, falls das Taljensystem Schaden nehmen würde É
Über das Schott hinweg wage ich einen Blick hinaus in die Dämmerung des heraufziehenden Morgens. Eine weitere Böe trifft die Atocha wie der Schlag einer Riesenfaust. Sie krängt stark nach Backbord, während sich eine blau- und grünglasige, vom Schaum weiß geflammte Wasserwand über die Leeschanzung rollt, danach das gesamte Oberdeck und das vor mir liegende Halbdeck überschwemmt. An ein Betreten des Decks ist nicht zu denken. Die nächste Sturzsee würde mich glatt hinwegspülen. Ich entschließe mich daher, mich zum Quarterdeck vorzuarbeiten.
Der Niedergang ist hier nur zur Hälfte mit einem Schott verschlossen. Dafür spüre ich die Gischt wie Nadelstiche im Gesicht, als ich versuche, mich über das Schott auf das Deck zu zwängen. Unweit des Niedergangs erblicke ich an der Nagelbank des Fockmastes den ersten Offizier, der gestikulierend dem Bootsmann etwas in das Ohr brüllt. Ich warte eine günstige Rollbewegung ab. Mit einem Satz erreiche ich in Luv die Nagelbank und klammere mich wie eine Spinne an den hart gespannten Leinen fest É
Gierig sauge ich die frische Luft ein. Sie ist mit Gischt angefüllt. Die See rundherum ist vollständig weiß davon. Die Sicht zum Bug hin ist stark herabgesetzt. Die Takelage ist bis zur Großmarsstenge mit einer Salzkruste überzogen. Doch das Schauspiel, das sich mir auftut, ist von einer schrecklichen Majestät.
Eine hohe, gewaltige See läuft etwas achterlicher als querein von Steuerbord. Dazu kommen Wellen auch von Lee über und überfluten besonders stark das Vorschiff. Obwohl ich erst kurz an Deck verweile, meine ich, dass die Verbeugung der Atocha vor den Urgewalten der anrennenden Orkanfurie zur Backbordseite hin immer tiefer zu werden scheint. Die Galeone liegt unter stärkstem Press in der haushohen, schäumenden See, die von Luv her den Schiffsrumpf unterläuft und kochend vor Wut davonzulaufen scheint. Die Nocken der Fockrah tauchen regelmäßig in die gewaltigen Seen, die wie Rücken riesiger Ungeheuer wirken É
Ein weiterer Blick nach oben in den Großmast lässt mein Blut gerinnen. Seeleute sind dabei, das zerfetzte Fockmarssegel abzuschlagen. Fünf lange messerscharfe Risse klaffen in dem grauen Segel. Mit lautem Knallen flappt es im Sturm wild hin und her und droht die Männer von der Rah zu schlagen. Jetzt erst entdecke ich durch den Schleier der Gischt, dass sich auf dem Backdeck Männer an den Tampen regelrecht festkrallen, um nicht mit jedem Flappen des Segels mit nach oben gerissen zu werden. Wenig später reißt der Sturm große Fetzen aus dem Marssegel heraus. Die noch verbleibenden Reste des Segels knattern flammengleich wie zerfetzte Banner im Sturm.
Im gleichen Moment wird mir das Inferno um mich herum erst so richtig bewusst. Wie von einer gewaltigen Harfe überfluten Töne, die der Orkanwind in den Pardunen, Stagen und Wanten erzeugt, mein Gehör. Das Auf- und Abschwellen der Töne geht einher mit dem Rollen und Stampfen des Schiffes und der damit hin und her schwingenden Takelage É
Erst Mitte der dritten Wache flaut der Sturm endlich ab. Nur vereinzelt walzen noch Brecher über die Luvseite, dafür treiben die Seen das Schiff jetzt vor sich her, da es nicht mehr wie ein stolzer Segler die Wellen schneidet, seitdem das Tuch der Sturmbesegelung aus den Lieken davongeflogen ist. Dafür begeistert mich zunehmend die Färbung der Windseen. Wild-schön fast, denn zwischen den weiß marmorierten Gischtstreifen leuchtet nun korundblaues Wasser heraus, das in den höheren Lagen so pastellen grün aussieht, als seiÕs flüssig gewordener Smaragd É
Zum Ende der Wache erwacht wieder das Leben an Bord. Der Kapitän befiehlt die vollständige Mannschaft an Deck. Harte Arbeiten warten zusätzlich auf den Schiffszimmermann und den Takelwerkmeister, an die der Befehl ergeht, die Sturmschäden umgehend auszubessern.
Nachdem die Segel wieder gesetzt sind und das Marssegel neu angeschlagen ist, ordnet der Kapitän einen Fleischtag an, was bedeutet, dass jeder aus der Kombüse ein Pfund Biskuit, eine Gallone Wein und zwei Pfund gesalzenes Rindfleisch erhält.
Am Nachmittag, als nur noch eine steife Brise uns weiter nach Osten treibt, befiehlt der Kapitän, die unteren Decks zu reinigen und die Seekranken an die Luft zu bringen. Neugierig auf das kommende Schauspiel, begebe ich mich wieder auf das Halbdeck. Juan bringt Esquivel an Deck, dem es deutlich besser geht als in den Nachtstunden. Kurz darauf sehe ich Barojo und Männer, die unzweifelhaft zum Gefolge des Herzogs gehören. Juan blickt mich an. Ein Augenzwinkern, eine Geste, ein paar geflüsterte Worte, und wir sind uns einig, frohgemut der Begegnung entgegenzusehen.
Es ist in der Tat ein jämmerlicher Zustand, in dem sich die Truppe des Herzogs befindet. Er selbst, unrasiert, mit kalkweißem Gesicht, dazu in fleckigem, übel riechendem Gewand, gestützt durch zwei Männer, die ebenfalls äußerst blass wirken, blickt mich aus toten Augen an. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Ich fühle mich wohl. Prompt schiebt er die Arme zu Seite, die ihn stützen. Unsicher tastet er sich an den Handlauf der Treppe heran. Er scheint stark geschwächt zu sein, da er auf den schwankenden Planken zu stürzen droht.
»Am besten, Ihr bleibt auf dem Oberdeck!«, höre ich plötzlich die Stimme des Kapitäns neben mir. »Die Pumpen befinden sich gleich neben der Back. Waschtag!«
Hilfe suchend blickt sich der Herzog um. Inzwischen befinden sich mehr als einhundert Männer der Besatzung an Deck, die mit Holz- und Schöpfzubern zu den Pumpen drängen. Nicht nur die Planken der Zwischendecks werden geschrubbt, vor allem sollen sich die seekranken Passagiere reinigen. Und es wird auch gelüftet.
Juan hat inzwischen den Wein besorgt und reicht mir den Humpen. »Auf die Gesundheit unseres Königs!«, rufe ich dem Herzog zu. Eine größere Welle lässt die Galeone wieder überholen, während ich einen kräftigen Zug nehme. Als ich den Humpen von den Lippen nehme, meine ich, dass der Herzog wieder zu würgen beginnt.
»Begnügt Euch mit dem, was Ihr habt. Es ist die größte Kajüte an Bord - außer der meinen natürlich. Wie Ihr wisst, ist die, die Ihr fordert, an eine wichtige Person des Hofes von Madrid vergeben, die im Auftrage Seiner Majestät nach Italien reist. Außerdem beherbergt sie wertvolle Fracht.« Daraufhin wendet er sich mit einer ausholenden Geste schmunzelnd an mich. »Vielleicht ist Don Diego bereit, mit Euch zu tauschen.«(wird fortgesetzt)

Artikel vom 11.03.2005