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Leitartikel
Reiselust neu erwacht

Trübsal und kleine Fluchten


Von Reinhard Brockmann
Wer hätte das gedacht? Die Deutschen können nicht nur klagen, leiden und Trübsal blasen, sie können auch wieder reisen - und zwar mit beachtlichen Zuwachsraten und gut gefülltem Portemonnaie.
Hartz IV, Massenarbeitslosigkeit und schlechtes Wetter sowieso sind eben doch nicht alles! Die schönsten Wochen des Jahres finden wieder statt. Mehr noch. Zur Internationalen Tourismusbörse (ITB) wird nicht nur der übliche Zukunftsoptimismus verbreitet, es werden auch knallharte Pluszahlen aus dem Reisejahr 2004 vorgelegt.
Fast scheint es so, als wenn viele im vergangenen Jahr geradezu unbemerkt kleine Fluchten an sonnige Gestade gesucht hätten. Nach der Rückkehr müssen sie ohne Not wieder das alte Klagelied gesungen haben, nur weil alle das so tun.
Ob die Lage inzwischen schon wieder besser ist als die Stimmung oder nicht, die deutschen Reiseveranstalter haben ihren Umsatz 2004 um satte 5,2 Prozent auf gut 19 Milliarden Euro gesteigert. Im Winter legten die Buchungen um 3,5 Prozent zu.
Miesepeter werden sagen, wer aus dem Keller kommt, hat gut pfeifen. Klar, aber nachdem Jahr für Jahr die Umsätze schlechter wurden, ist diese Erholung auf dem Reisemarkt für die Gesamtstimmung in Deutschland gar nicht hoch genug einzuschätzen.
»2004 haben wir die Trendwende geschafft, und zwar nachhaltig«, sagte auch Klaus Laepple vom Deutschen Reisebüro-Verband gestern in Berlin. Solche Sätze würden andere Branchensprecher auch gerne aufsagen. Und während die übrige Wirtschaft weiter auf der Stelle tritt, spricht die Tourismuswirtschaft schon wieder von 5000 Neueinstellungen allein in den seit 2001 arg gebeutelten Reisebüros. Für den Sommer zeichnet sich wegen besonders vieler Frühbucher ein Plus von sechs Prozent ab.
Auch die Fluggastzahlen in Zielstaaten, bei denen neben dem Tourismus Geschäftsreisende einen Großteil der Passagiere ausmachen, erreichten ausnahmslos Zuwächse: Großbritannien plus 5,3, Frankreich plus 7,1, USA plus 11,1 und China plus 48,2 Prozent.
Die Flutwelle vom 26. Dezember 2004 bleibt nicht ohne Folgen, scheint aber bei allem menschlichen Leid ein eigenes Konjunkturprogramm, auch zugunsten Deutschlands, ausgelöst zu haben. Touristen können übrigens am besten zum Wiederaufbau beitragen, indem sie wieder nach Thailand, auf die Malediven und nach Sri Lanka reisen. Das ist besser als jedes Almosen. Weit mehr als 80 Prozent der Hotelanlagen seien dort »absolut intakt«, versichern uns die Fachleute auf der ITB
Übrigens, auch die Messe selbst wartet mit Wachstum auf. Bis Dienstag zeigen 10 409 Aussteller aus 181 Ländern und Gebieten ihre Produkte. Im Vergleich zu 2004 ist das ein Wachstum von 3,8 Prozent. Das sind Werte, die Deutschland gut tun. Deshalb: Klagen einstellen, Koffer packen, und hinterher erzählen, wie schön es war.

Artikel vom 11.03.2005