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Wenn wir Glück haben, verkürzen sie auf die Trentana! Das wären dann nur dreißig Tage.«
»Ihr habt doch einen Pestbrief É«
»Natürlich, aber wir kommen aus einem Pestland. Sämtliche Häfen Spaniens außer Malaga sind von der Pest umzingelt. Das wissen inzwischen auch die Genuesen. Sie werden alle Papiere, die wir ihnen reichen, mit der Pestzange entgegennehmen und erst einmal mindestens dreißig Tage unberührt liegen lassen.«
»Weiß das der Herzog?«
»Er wird es früh genug erfahren. Spätestens dann, wenn wir auf der Reede den Anker fallen lassen. Vielleicht weiß er es sogar. Seine Ohren und die seiner Helfer lauschen an allen Wänden dieses Schiffes. So besehen, werdet Ihr genügend Zeit haben, bei hellem Licht und ohne schwankenden Boden mein Bildnis zur höchsten Vollendung zu bringen.«
Mit dem Moment, in dem er endet, hören wir das Knarzen der Bodenbretter draußen auf der Steuerbordgalerie. Bazán stürzt hinaus. Ich folge ihm.
»Wache! Haltet ihn!«, brüllt er in die Nacht. Doch der Wind verschluckt seine Worte. »Verdammt. Das war nun schon das dritte Mal!«, flucht er vor sich hin. »Er muss über die Fallreepstreppe entwischt sein.«
Ich werfe noch einen Blick auf das grünlich leuchtende Heckwasser. Das Schäumen verrät eine schnelle Fahrt. Wir segeln immer noch mit raumem Wind, der seit vier Tagen stetig weht, sodass die Atocha Genua direkt ansteuern kann, ohne ein einziges Mal kreuzen zu müssen.
»Nehmt Euch in Acht!«, sagt Bazán in besorgtem Ton, als wir wieder in seiner Kajüte stehen.
»Ich bin vorsichtig«, erwidere ich.
»Nicht vorsichtig genug. Meine Männer berichten mir nichts Gutes. Der Herzog plant möglicherweise einen Anschlag gegen Euch.«
»Das tut er schon, seit wir Madrid verlassen haben.«
»Mag sein. Doch verriegelt des Nachts Eure Kajüte und den Zugang zur Galerie. Betretet außerdem in der Dunkelheit nie ohne Begleitung das Deck. Vor allem geht nie allein auf das Backdeck und zum Bugspriet. Den Rest überlasst mir.«
»Ich werde Euren Rat befolgen!«
Daraufhin nimmt er das Glas und blickt gegen das Kerzenlicht. »Der Vorrat an Rum reicht auf jeden Fall für mehr als hundert Tage! Auf Euer Wohl!«
»Auf das Eure, Capitán!«
Zurück in meiner Kajüte entkleide ich mich, liege bald wohlig in meiner Koje und lausche dem unheimlichen Knacken und Knarren. Ein Zeichen der riesigen Kräfte, die Stagen, Pardunen, Taue und Blöcke beanspruchen, da sie den gewaltigen Zug des Winddrucks auf Segel und Masten aufnehmen.
Langsam dämmere ich hinüber, in der Gewissheit, im Morgengrauen als einer der Ersten auf dem Oberdeck an der Handpumpe mein gewohntes Morgenbad zu nehmen.
Ich gewinne immer mehr die Überzeugung, dass ich im Schlaf den Glasenschlag der Schiffsglocke mitzähle. Jedenfalls erwache ich zur Mitte der Morgenwache und stehe wie gewohnt auf, um mich an Deck zu begeben. Am Niedergang wartet eine der aalglatten, langweiligen Adjutantenfiguren auf mich, die sich ihre Anwesenheit auf diesem bewaffneten Kauffahrer nicht erworben, sondern dank ihres Geldes erkauft haben É
Unzählige Male, solange ich denken kann, habe ich mir in meinem Innenhof in Madrid aus der Zisterne in den heißen Sommermonaten frühmorgens Wasser über den Rücken pumpen lassen, aber immer war es angenehm lau gewesen. Doch dieses Meerwasser, das die Frische des Winters in sich trägt, geht mir durch Mark und Bein. Gleichwohl wirkt es herrlich erfrischend und lässt mich unter dem Strahl der prallen Güsse die seltsamsten Kapriolen vollführen. Die Rudergänger schütteln immer wieder den Kopf darüber, und aus ihren Augen spricht fassungsloses Staunen É
Gerade als ich dem Adjutanten des Kapitäns, der mich jeden Morgen an Deck begleitet, ein Zeichen gebe, dass es genug ist, sehe ich in seinem Rücken vom Backdeck her schattengleich einen Mann herabspringen. Unwillkürlich werfe ich mich auf die Planken und rolle mich zum Schanzkleid hin ab. Während ich noch sehe, wie der Adjutant unter der Wucht des Anpralls lautlos zusammenbricht, springt ein zweiter Mann über den oberen Breitgang. Ich sehe noch den hellen Stahl in seiner Hand, als er sich auf mich stürzen will, und ramme ihm im Liegen meine Füße in den Unterleib. Im gleichen Augenblick vernehme ich den Warnruf des Bootsmanns vom Halbdeck, während ich einen brennenden Schmerz an meinem linken Oberschenkel verspüre.
Mit einem Sprung steht der Bootsmann neben mir. Ich wirble herum und sehe gerade noch, wie dieser seinen Säbel, ohne zu zögern, in den Leib des Angreifers stößt. Nur wenige Schritte von mir entfernt, bricht dieser mit vorquellenden Augen zusammen. Doch der Bootsmann ist schon hinter dem zweiten Mann her, der über das Backdeck zu entkommen versucht. Dort verstellt ihm ein weitere Matrose den Fluchtweg. Katzengleich erklimmt der Bootsmann das Backdeck und treibt den ersten Angreifer mit seinem bluttriefenden Säbel an die Reling. Im Halbdunkel sehe ich noch, wie er die Spitze seiner Klinge an den Hals des Mannes setzt, sodass sich dieser weit nach hinten krümmt. Kurz darauf ist er aus meinem Blickfeld verschwunden É
Wie in Trance erhebe ich mich. Nach wenigen Augenblicken stehen mein Retter und der Matrose wieder auf dem Oberdeck. Ich blicke in vor Aufmerksamkeit angespannte Gesichter. Die Augen wirken hart und entschlossen. Kurzerhand wischt der Bootsmann die Klinge seines Säbels an den Kleidern des Sterbenden zu seinen Füßen blank. Sein Körper ist von robuster, vierschrötiger Gestalt, doch seine Bewegungen sind die einer Raubkatze. Ein stummer Blick zu dem Matrosen genügt. Sie fassen den Sterbenden an Armen und Füßen und wuchten ihn zu meinem Entsetzen über das Schanzkleid ins Meer. Daraufhin sagt mein Retter zu dem Matrosen. »Sieh nach, was mit dem Adjutanten los ist. Rufe den Wundarzt É und wecke den Capitán.«
Dann wendet er sich mir zu. »Zieht Euch etwas über, und lasst Euer Bein verbinden.«
Erst jetzt bemerke ich meine Nacktheit und das Blut, das mir das Bein herunterrinnt. »Habt É Dank É Es hätte É den Tod É«
»Schon gut, Don Diego. Wir waren gewarnt. Es ist noch einmal gut gegangen.«
Als ich mir meine Kleider überziehe, sehe ich, dass der Adjutant lebt, auch wenn das Messer noch in seiner Schulter steckt.
Gerade als ich zum Halbdeck hochklettere, kommt mir Bazán entgegen.
»Oh, Gott sei Dank! Ich sehe, Ihr seid fast unversehrt.«
»Dank Eurer Männer É«
»Wir haben darauf gewartet, dem Herzog unwiderruflich eine Lektion erteilen zu können. Nun ist sein Leben endgültig in meiner Hand.«
»Ich É ich habe das nicht für möglich gehalten É«
»Es ist vorbei! Ich schicke Euch den Wundarzt in die Kajüte. Danach treffen wir uns am Ende der Morgenwache bei einem exzellenten Frühstück in meiner Kajüte.«
Auf dem Weg dorthin überlege ich, ob ich das Recht hatte, aus meinem Stolz heraus die Situation so weit auszunutzen, ohne auf das Eigeninteresse und die Selbstachtung des Herzogs Rücksicht zu nehmen und ob dies nicht alles erst dazu geführt hat, dass er mich umbringen lassen wollte. Doch einige Schritte weiter war der Zweifel in mir wie weggeblasen. Diese Edelleute erheben sich aufgrund ihres Geburtsrechts ohne Gnade über andere, um sie als Mittel für eigene Zwecke zu missbrauchen.
Ein starker Schutzengel war diesmal auf meiner Seite É

10. März 1649
Abendwache

P
roa ancla en!«, dringt das Kommando scharf vom Quarterdeck herab. Inbrünstig, und von jedermann an Bord erwartet, befiehlt Kapitän de Bazán das Lichten des Ankers. Jede Seele drängt an Deck. Die Quarantäneflagge wird feierlich, als Zeichen der Aufhebung, von der Flaggstenge des Großmastes eingeholt. Zugleich stemmen sich die Männer unter Trommelschlag und rhythmischem Stampfen gegen die Spillspaken, um das Ankertau dicht zu holen. Im gleichen Moment entern Matrosen auf und werfen die Beschlagzeisinge von Großmars-, Fockmars- und das Blindesegel los. Andere sind an Deck mit den Bauch- und Nockgordings sowie den Geitauen beschäftigt, und in wenigen Augenblicken werden die Segel von den Rahen geworfen. Darauf folgt das Durchholen der Schoten, bis die Seitenlieken der Segel steif stehen.
Nach dem Anbrassen nimmt das Schiff langsam Fahrt auf. Mit Blick auf die Klüse am Bug gewinne ich den Eindruck, als ob eine riesige Seeschlange aus der Tiefe emporsteigt. Das Ankertau ist grün vor Bewuchs und eine Quelle ständiger Sorge des Kapitäns, da in den vergangenen vierzig Tagen das Verrotten schnell voranschritt. Die Trosse wird gehievt, bis sie ungefähr auf und nieder ist. Die Galeone giert ein wenig nach Steuerbord, als der Anker aus dem Grund bricht und sich kurz darauf willig hieven lässt. Die Seefahrer johlen vor Freude, während das Symbol der Hoffnung vor die Klüse hochgezogen und gleich gekattet wird.
Die Männer sind angespornt, da die Atocha nach endlos langen Tagen auf Reede, begleitet von der untergehenden Sonne, nun in den Hafen von Genua einlaufen darf. Wie ich auf der Seekarte sah, liegt die Stadt genau im Mittelpunkt des großen Bogens, den das Ligurische Meer bildet. Genua - La Superba, wie Bazán immer sagt - ist für uns längst zum Symbol unserer Sehnsüchte und zum Symbol des rettenden Hafens geworden.
»Wir huldigen ihr bald mehr als der Religion!« ist eine seiner häufig gebrauchten Wendungen.(wird fortgesetzt)

Artikel vom 14.03.2005