09.03.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Leitartikel
Syriens Scheinabzug


Noch ist der Libanon nicht frei


Von Jürgen Liminski
Syrien ist bereit zum Abzug seiner Truppen aus dem Libanon. Hier und da wird das gefeiert wie ein Frieden, Syrien als großzügige Ordnungsmacht dargestellt.
Dabei war der Abzug seit Jahren überfällig. Lange hat sich Damaskus geziert, aber der Druck war zuletzt erst zu stark geworden. Vor allem als Saudi-Arabien, selber unter Druck aus Washington, begann, die Wirtschaftshilfe infrage zu stellen, wusste Assad, dass er die Besatzung wenigstens pro forma beenden musste. Die UN-Resolution 1559, die schon seit Jahren den Abzug fordert, war urplötzlich aktuell.
Dabei hatte man sich das so schön ausgedacht. Erst mal den Führer der Opposition im Libanon, Rafik Hariri auf bewährte Weise aus dem Weg räumen, dann im Süden Libanons und Norden Israels zündeln und schließlich durch Terror die zarten aber hoffnungsvollen Friedensbemühungen zwischen dem Israeli Ariel Scharon und dem Palästinenser Mahmud Abbas in die Luft jagen.
All das würde Damaskus wieder die Rolle zuspielen, die es als Friedensverhinderer in Nahost seit Jahrzehnten innehatte und unter Assad Vater bis zum Irak-Krieg so wirkungsvoll nutzte. Aber die Schüsse gingen nach hinten los. Sie zeigten auch Washington, wo die Front der Friedensgegner verläuft. Und sie trieben das Volk in Beirut auf die Straße.
Was dem Volk in Beirut im Unterschied zu Kiew und Tiflis fehlt, ist noch ein Held, ein Mann oder eine Frau, eine Galionsfigur, die den Freiheitskampf verkörpert. Der Druse Walid Dschumblat versteckt sich in seinem Haus und die Figur, die auch die Statur zum Helden hätte, der Christenführer Dschadscha wird seit Jahren zu Unrecht im syrischen Kerker gefangen gehalten. Er ist ungebrochen und könnte den Libanon zur Fackel der Freiheit und der Demokratie in der Region entzünden.
Wie weit sie leuchten könnte, bleibt freilich eine offene Frage. Ohne Hilfe von außen, ohne Anlehnung an eine Großmacht, ist keiner der kleinen Staaten in der Region überlebensfähig. Diese Anlehnung könnte Amerika bieten. Auch Frankreich hat noch ein Eisen im libanesischen Feuer. Es heißt Michel Aoun. Der General war der letzte libanesische Politiker, der offen den syrischen Besatzern widerstand.
Aber noch sind die Syrer nicht aus dem Land. Es ist auch nicht vorstellbar, dass sie die Beute einfach so fallen lassen. Die Beute, das sind die Drogenfelder in der Bekaa-Ebene. Das ist die Kontrolle über die Hisbollah, die für Damaskus die Drecksarbeit machen. Das ist das Kapital, das man in den Banken Beiruts deponieren oder in aller Welt spekulativ investieren konnte. Und das ist der Plan von Großsyrien zu dem der Libanon ebenso gehört wie ein kleiner Teil der Türkei und ein größerer von Jordanien.
All das und die Arbeitsplätze von mehreren hunderttausend syrischen Pendlern will man nicht aufgeben. Einige tausend Soldaten werden sichtbar abziehen, die Armee der Geheimdienstleute wird bleiben. Noch ist Libanon nicht frei.

Artikel vom 09.03.2005