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Nur eine Currywurst
blieb dem Kanzler versagt

1500 jubeln Gerhard Schröder und Jaques Chirac in Blomberg zu

Von Christian Althoff
Blomberg (WB). Es war ein Heimspiel für Gerhard Schröder, als er gestern den französischen Präsidenten Jacques Chirac durch seine Geburtsstadt Blomberg führte. 1500 Menschen jubelten dem Kanzler und seinem Gast zu, denen die Personenschützer nur mit Mühe einen Weg durch die fähnchenschwenkende und »Gerhard, Gerhard!« rufende Menge bahnen konnten.
Kanzlers Fußball-Kumpel vom TuS Talle: Fritz Ellermeier, Herbert Batzer und Heinz Pohl. Foto: Hörttrich

Die Geschäfte rund um den Marktplatz haben sich mit den Farben der Trikolore herausgeputzt. Weinhändler Pierre-Lois Plat (»Ich bin der einzige Franzose hier im Ort«) bietet seinen Kunden heute eine Geschenkpackung mit einem deutschen Weißwein und einen roten Franzosen an: »Zur Feier des Tages!« Blomberg im Gipfelrausch: Einen Tag lang darf sich die lippische 18 000-Einwohner-Stadt, in denen Ortsteil Mossenberg Gerhard Schröder am 7. April 1944 zur Welt gekommen war, als Nabel derselben fühlen. »Ich finde das klasse, dass die deutsch-französischen Gespräche diesmal bei uns in der Provinz stattfinden«, sagt Heinke Lohrmann (60), die sich schon früh morgens einen Platz am Absperrgitter vor dem Rathaus gesichert hat: »Ich habe mir extra einen 36-er Film gekauft!«, strahlt die Blombergerin.
Abseits der wartenden Menge trifft Gerhard Schröder zum Auftakt seiner Visite mit einer Grundschulklasse zusammen. Dann führt ihn Bürgermeister Klaus Geise zum 418 Jahre alten Rathaus, vor dem der Kanzler und sein Außenminister auf ihren Besuch aus Frankreich warten. Während Joschka Fischer ein Transparent der örtlichen CDU erblickt (»Fischers Visa - Die Freiheit nehm' ich mir«), schnackt Schröder mit drei seiner Fußballfreunde vom TuS Talle, die er unter den Zuschauern entdeckt hat. TuS-Vize-Vorsitzender Herbert Batzer ist gerührt: »35 Jahre ist das jetzt her, dass er bei uns Stürmer war, aber seine Kumpel hat der Gerd bis heute nicht vergessen.«
Mit einer herzlichen Umarmung heißt der Bundeskanzler wenig später Frankreichs Präsidenten Jacques Chirac willkommen. Dann schütteln die beiden Staatsmänner über die hüfthohen Absperrgitter hinweg hunderte eiskalter Hände und ziehen sich schließlich mit ihren Außenministern Joschka Fischer und Michel Barnier zu Gesprächen in den historischen Ratssaal zurück.
Draußen fröstelten hunderte von Zuschauern erwartungsfroh weiter: »Ich gebe meinen Platz hier nicht auf. Wann komme ich schonmal so dicht an unsere Kanzler heran?«, fragt Rentner Heinrich Wibusch. Eine Stunde lang tritt der Blomberger von einem Bein aufs andere. Dann öffnet sich gegen 13 Uhr endlich die schwere Rathaustür, und die beiden Staatsmänner machen sich winkend auf den Fußweg ins 300 Meter entfernte Burghotel.
Es ist das pure Chaos, ein nicht mehr zu überblickendes Durcheinander. Hunderte von Menschen umringen den Bundeskanzler, strecken ihm ihre Hände oder Autogrammalben entgegen. An Personenschutz ist nicht mehr zu denken. Natascha Degler aus Nieheim etwa dringt bis zu Gerhard Schröder vor und bittet ihn um eine Unterschrift. »Haben Sie denn ein Blatt?«, fragt der Kanzler. Als die 18-Jährige den Kopf schüttelt und Tränen in ihre Augen treten, unterschreibt Schröder kurzerhand auf dem Unterarm der jungen Frau: »Bitte sehr!«
In dem Gedränge und Geschiebe hat Jacques Chirac längst den Anschluss an den Kanzler verloren. Geduldig ergreift der Präsident die Hände ungezählter Menschen und grüßte sie mit »Allo!« und »Guten Tag!«. Seine Bodyguards stemmen sich förmlich gegen die jubelnde Menge, um Chirac eine Gasse ins Burghotel zu bahnen.
Im Spiegelsaal der mittelalterlichen Gemäuer finden die Staatsmänner endlich wieder zusammen. Dort lassen die Chefköche Thomas Götz und Rüdiger Müller zum Abschluss des Gipfeltreffens feines Westfälisches auftragen: Kleine lippische Pickert mit Räucherschinken und Zwiebelmus, Ochsenlende in Kräutern und Portweinsoße mit Pilzen und Kartoffeln, und zum Dessert eine Birneneistorte mit Williamsgeist.
Wer weiß: Vielleicht hätte Gerhard Schröder gestern viel lieber im benachbarten Marktcafe gespeist. Dort hatte Inhaber Klaas Klijn aus Anlass des Gipfeltreffens erstmals Currywurst auf die Karte gesetzt: »Die mag der Kanzler doch so gerne.«

Artikel vom 08.03.2005