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Vom Euro-Defizit bis Syrien - Ordnungspolitik von Lippe aus

An diesen zwei europäischen Mittelmächten führt kein Weg vorbei

Von Reinhard Brockmann
Blomberg (WB). Stabilitätspakt, Dienstleistungsrichtlinie und Syriens ungeliebte Geheimagenten im Libanon: Unterschiedlicher hätten die Themen nicht sein können. Dennoch war Blomberg gestern der richtige Ort für Deutschland und Frankreich, um Probleme zu ordnen.

Fest verabredet wurde die seit langem vorbereitete Lockerung des Euro-Stabilitätspaktes. Gegen die stur technokratische Umsetzung des Regelwerks sprachen sich Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder einhellig aus. Fernab der schnaubenden Opposition und österreichischer Bedenken erklärten die zwei mächtigsten Männer Mitteleuropas, der Pakt müsse so geändert werden, dass der Wachstumsgedanke in den Vordergrund trete. »Das Wachstum in Europa ist noch nicht so, dass man zufrieden sein könnte«, sagte Schröder - und räumte mit grimmiger Miene ein, dass das wesentlich an der Lage in Deutschland liege. Von Wachstumsschwäche mochte er nicht reden, auch wenn er genau das meinte. Vor allem, sagte Schröder bei einer Pressekonferenz im Wintergarten des Burghotels, bedeute die Notwendigkeit zur Nachjustierung keine Nachlässigkeit gegenüber der Stabilität der Währung.
Nicht Automatismus, der nur die Netto-Neuverschuldung berücksichtige, sondern ein geschärfter Blick für anhaltende Stagnation oder nationale Besonderheiten müsse Beachtung finden, sprang Chirac bei: »Jedes Land hat besondere Ereignisse. Die Lage in den neuen Bundesländern ist eine besondere Last, die einfließen sollte.«
Die Erklärungen beider Staatschefs eröffneten in Blomberg sogleich die Auflistung verschiedenster Ausnahmetatbestände, die eine Abweichung vom Drei-Prozent-Kriterium erlauben. Grundsätzlich sollten, so Schröder und Chirac, alle Investitionen berücksichtigt werden, die zum Wohle Europas erbracht würden. Dazu gerechnet werden Ausgaben für Verteidigung und Forschung. Details sollen in enger Abstimmung mit dem amtierenden EU-Ratspräsidenten, dem luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker, geschehen. Schröder sagte, dass er heute ein Treffen mit dem Luxemburger habe. »Wir werden etwas mehr Zeit brauchen, als dies im offiziellen Zeitplan vorgesehen war«, bremste Bundesfinanzminister Hans Eichel allerdings von Brüssel aus den Elan.
Das endgültige Aus für die vorliegende Form der so genannten EU-Dienstleistungsrichtlinie verabredeten Deutschland und Frankreich ebenfalls in Blomberg. Berlin und Paris gingen davon aus, sagte Schröder, »dass die Dienstleistungsrichtlinie so nicht Geltung bekommen kann«. Und er wurde - für einen Staatschef - überdeutlich: »Uns wäre es am liebsten, man formulierte einen neuen Entwurf.« Massive Sorgen haben die Franzosen wie die Deutsche aufgeschreckt. Deshalb kommt es beiden darauf an, die Regelungen so auszugestalten, »dass wir nicht im Lohndumping enden«. Dies habe die Menschen »in Angst und Schrecken« versetzt«, räumte Schröder ein.
Eine gestern in Blomberg gefasste gemeinsame Erklärung zum Libanon stieß auf das besondere Interesse der französischen Medien. Beide Seite bekräftigen darin den Wunsch ganz Europas nach Unabhängigkeit und Demokratie im Libanon. »Wir erwarten, dass Syrien seine Truppen und Sicherheitsdienste vollständig und schnellstmöglich aus dem Libanon abzieht«, heißt es in dem Papier. Paris und Berlin erwarten von der syrischen Regierung mehr Zusammenarbeit bei der Klärung des Attentats auf den ehemaligen Premierminister Rafik Hariri. Offensiv und nur noch in Maßen diplomatisch forderte Chirac Syrien direkt auf, seine Truppen und vor allem seinen Geheimdienst aus dem Libanon abzuziehen. Man darf sicher sein, dass diese Botschaft aus Blomberg dort ankam.

Artikel vom 08.03.2005