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Bitterböses über Boybands

Was bringt eigentlich das Duden-Wörterbuch der Szenesprache?

Von Lukas Sabatin
Bielefeld (WB). Jugendliche sind im Umgang mit Sprache weitaus kreativer als Erwachsene, häufig sogar kreativer als die Politiker. Die Volksvertreter bringen gerade mal Begriffsabscheulichkeit wie »Parallelgesellschaft« zustande. Doch was ist »Jugendsprache« überhaupt? JUGENDSTIL hat sich umgehört.

Eine Familie sitzt am Küchentisch, die Mutter sagt zu ihrem Sohn: »Du solltest öfter zum Training gehen, damit du auch mal so gut schwimmst wie dein Bruder Benni.« Darauf antwortet der Sohn: »Ach Benni is'n Poser, die Rhymes, die ich kicke, sind tighter!« Vor Schreck gleitet der Mutter das Marmeladenbrot aus der Hand und landet auf dem Fußboden. Dieses Beispiel ist etwas übertrieben. Aber es zeigt: Jugendsprache schockiert wegen ihrer Kraftausdrücke, erheitert durch ihren Einfallsreichtum und stellt Erwachsene immer wieder vor neue Rätsel.
Doch was ist Jugendsprache überhaupt? Geheimsprachen waren schon im alten China gang und gäbe. Chinesische Ehefrauen benutzten zum Beispiel ebensolche, um sich mit Gleichgesinnten über ihre Eheprobleme auszutauschen, von denen ihre Ehemänner nichts erfahren durften. Schon damals schafften Sondersprachen eine Gruppenzugehörigkeit nach innen und »Abgrenzung nach außen«, wie Ulrich Dausendschön-Gay, Professor für Linguistik an der Universität Bielefeld, betont.
Diese Funktion lässt sich auf Jugendsprache nahtlos übertragen: Die eigene Sprache bedeutet für Jugendliche Nestwärme nach innen und Wetterschutz nach außen. Sie hilft ihnen, eine Grenze zu ziehen, zwischen ihrer und der Welt der Erwachsenen. Prof. Dausendschön-Gay: »Sondersprachen sind ein altes Phänomen, es hat sie immer gegeben, sie gehören zur kulturellen Identität.«
Und was ist mit Lexika, die diese Sprache erfassen wollen? »Die sind außerordentlich schnell überholt, eigentlich lohnt sich eine solche Herausgabe nicht«, wie Prof. Dr. Klaus Hurrelmann von der Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld betont. Trotzdem gibt es immer wieder neue Jugendsprache-Wörterbücher. Zum Beispiel von Pons und Duden. Besonders der Ansatz des Duden »Wörterbuch der Szenesprache« klingt erfrischend: In Kategorien wie »Kicks und Funsports« oder »Musik und Popkultur« werden Begriffe unterhaltsam erklärt und mit passenden Bildern unterlegt. Es gibt keine bloße Erläuterung, dass das Wort »cool«, nicht »kühl«, sondern etwas Positives ausdrückt. Nein, dieses Wort kommt in diesem Wörterbuch nicht einmal vor. Es gibt jedes Mal eine kleine, manchmal bitterböse Geschichte - wie bei dem Begriff »Boyband«. Im Gegensatz zu anderen Lexika geht es das erste Mal nicht um »Sich-wundern-über-die-Jugend«, sondern um eine Stenographie der Gegenwart.
Doch selbst dieses Wörterbuch ist dem Wandel der Zeit unterlegen. Prof. Dr. Klaus Hurrelmanns schlägt vor: »Am besten wäre es wohl, eine solche Zusammenstellung gleich ins Internet zu stellen und sie wöchentlich zu aktualisieren.«
Was Jugendliche von dem Duden der Jugendsprache halten, bringt Tim (14) auf den Punkt: »Ich wüsste gar nicht, was ich damit anfangen soll.« Denn wenn Jugendliche ihre eigene Sprache im Duden nachschlagen müssten, wären sie wohl wirklich arm dran.
Zurück nach China: Was macht man nun als zukunftsbewusster Jugendlicher? Einfach mal ein paar chinesische Ausdrücke in das eigene Wortrepertoire aufnehmen und in Gegenwart seiner Freunde benutzen. Bei dem Wirtschaftswachstum können chinesische Ausdrücke in der deutschen Jugendsprache nur nützlich sein. Dabei sollten wir eigentlich zufrieden sein. In China sind Anglizismen auch weit verbreitet, nur ihre Schreibweise mit den chinesischen Schriftzeichen stellt sich als sehr problematisch heraus und wird derzeit im Reich der Mitte heiß diskutiert.

Artikel vom 10.03.2005