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Leitartikel
»Der Franz« flippt aus

Rebellion gegen
Müntefering


Von Reinhard Brockmann
»Münte«, der Mann mit dem roten Schal, galt gemeinhin als stabiler Anker seiner Partei. Auch Gegner bescheinigten dem Sauerländer stets Ruhe und Gelassenheit. Damit ist es vorbei.
Erst blamierte er sich als Schönredner nach der Schleswig-Holstein-Schlappe der SPD, dann schwammen in Düsseldorf die Felle davon, und zuletzt flippte »der Franz« völlig aus: »Ein Zeichen von Verlogenheit und moralischer Verkommenheit« schalt er den Brief, mit dem Angela Merkel und Edmund Stoiber dem Kanzler einen Pakt gegen Massenarbeitslosigkeit antrugen. Politische Taktik mag dahinter stecken, aber moralische Verkommenheit? Auch das Angebot weiterer Hilfe über Hartz hinaus kann niemand als verlogen abtun. Nein, Münte waren die politischen Sicherungen durchgebrannt.
Mehr als die Opposition macht dem SPD-Fraktionschef im Bundestag das eigene Lager zu schaffen. Am Dienstagmorgen erteilte Harald Schartau den SPD-Bundestagsabgeordneten aus NRW Weisung, Front gegen das Antidiskriminierungsgesetz zu machen. Merke: Der Job-Killer ist von der Regierung gewollt und im Kabinett gebilligt worden.
In Düsseldorf reagierten die Grünen zuerst. Sie erklärten prompt, für dieses Gesetz, das fast genauso viele SPD- wie CDU-Wähler als Job-Killer betrachten, die Koalition aufs Spiel zu setzen.
Als Müntefering am späten Nachmittag dann seine Riesenfraktion auf den Regierungskurs zurückholen wollte, widerfuhr ihm die nächste Panne. Sein Wunsch-Kandidat für das Amt des Wehrbeauftragten, Reinhold Robbe, rasselte im ersten Wahlgang durch. Erst im zweiten Durchgang - ohne die von Müntefering gewünschte Vertagung - machte der ehemalige Wehrdienstverweigerer Robbe mit 97 zu 95 Stimmen bei drei Enthaltungen denkbar knapp das Rennen.
Klar, dass die Opposition bei so viel SPD-interner Uneinigkeit jetzt mit Leichtigkeit den alten Brauch meist einmütiger Beschlüsse speziell für dieses Amt in Frage stellt. Müntefering droht am 17. März bei der Wahl des Wehrbeauftragten im Bundestag die nächste Demütigung. Anders FDP-Mann Günther Nolting aus Minden. Der ganz alte Hase im politischen Geschäft hatte frühzeitig eine Gegenkandidatur angemeldet. Nolting kann mit genau der Ruhe und Gelassenheit, die Müntefering verloren hat, den Lauf der Dinge abwarten.
Der SPD-Fraktionschef muss nicht allein um die Kanzler-Mehrheit in einer relativ unpolitischen Frage fürchten. Auch seine ganze Autorität steht auf dem Spiel.
Am Spitzengespräch des Kanzlers mit Merkel am 17. März kann Müntefering, so wie es aussieht, auch wegen seiner unsäglichen Entgleisungen nicht mehr teilnehmen. Vor allem aber wird seine ganze Integrationskraft gebraucht, wenn die Themen Konjunkturprogramme, Antidiskriminierungsgesetz und EU-Dienstleistungsrichtlinie in den kommenden Wochen noch heißer laufen, als sie jetzt schon die SPD-Basis irritieren.

Artikel vom 10.03.2005