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Die kleine Frau mit
dem großen Herzen

Brigitte Mira starb kurz vor ihrem 95. Geburtstag

Berlin (AP). Frech, pfiffig, gerade heraus und hoch begabt - mehr als 70 Jahre lang begeisterte die Schauspielerin und Sängerin Brigitte Mira ein Millionenpublikum. Nach längerem Klinikaufenthalt starb die Wahlberlinerin gestern im Berliner Emil-von-Behring-Krankenhaus. Am 20. April wäre sie 95 Jahre alt geworden.
Zu ihrem 90. Geburtstag gab es einen Kuss von Harald Juhnke. Foto: dpa

Ihr Tod hat die Lücke in der Garde altgedienter Volksschauspieler und Entertainer noch größer werden lassen. Bekannt wurde das quirlige Multitalent vor allem mit unterschiedlichen Fernsehrollen, darunter der Serien-Dauerbrenner »Drei Damen vom Grill«. Rainer Werner Fassbinders »Angst essen Seele auf« begründete 1973 ihren späten Ruf als Charakterschauspielerin. Darüber hinaus machte sie sich einen Namen als Balletteuse, Soubrette, Kabarettistin und Sängerin. Wo eine »Berliner Ulknudel« gesucht wurde - die Mira war dabei. Für ihre Kunst wurde sie vielfach ausgezeichnet.
Musikpädagogin hätte Brigitte Mira nach den Vorstellungen ihres Vaters, eines aus Russland eingewanderten Konzertpianisten, werden sollen. Doch »Biggi« reizte die Bühne. Die am 20. April 1910 in Hamburg geborene und in Düsseldorf aufgewachsene Künstlerin nahm Gesangs- und Ballettunterricht und debütierte 19-jährig in Köln als »Esmeralda« in Smetanas »Die verkaufte Braut«.
Dramen, Operetten, Komödien, Weihnachtsmärchen - auf den Bühnen von Kiel bis Graz spielte die Mira danach voller Begeisterung. 1941 landete sie in Berlin im Theater am Schiffbauerdamm. Hier entdeckte Willi Schaeffers ihr komisches Talent und holte sie an sein legendäres »Kabarett der Komiker«. Diesem Genre blieb sie neben allen anderen Engagements treu: Sie brillierte in Günter Neumanns »Die Insulaner« im Radiosender Rias, ging mit dem Kabarett »Die fröhlichen Spötter« auf Tournee und feierte schließlich ab 1997 als eine der »Drei alten Schachteln« zusammen mit Helen Vita und Evelyn Künneke Riesenerfolge.
In den 50er Jahren entdeckten Spielfilm und Fernsehen die zierliche Frau mit den großen komischen Talenten, die »Soubrette vom Dienst«, wie Mira sich selbst zu bezeichnen pflegte. Die große Wende in ihrem künstlerischen Leben begann 1972, als sie am Bochumer Schauspielhaus Regisseur Fassbinder kennen lernte. Der gab ihr in dem sozialkritischen Film »Angst essen Seele auf« die erste einer Reihe von Hauptrollen: die verwitwete Putzfrau Emmi Kurowski, die einen viel jüngeren arabischen Gastarbeiter heiratet. Für diese Rolle erhielt sie 1974 in Cannes das Filmband in Gold. Diese Trophäe bekam sie 1989 noch einmal für ihr schauspielerisches Gesamtwerk.
Auf der großen Gala zu ihrem 90. hatte sie sich noch topfit und schlagfertig gezeigt. »Wie schafft es eine Frau, fünf Mal verheiratet zu sein, ohne kochen zu können?«, musste sie sich von Talkmaster Alfred Biolek fragen lassen. Mit funkelnden Augen antwortete Brigitte Mira damals: »Ich hatte eben andere Qualitäten.«

Artikel vom 09.03.2005