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Not-OP rettete sein Augenlicht

Ärzte müssen einem Patienten nach Fehlbehandlung 50 000 Euro zahlen

Von Christian Althoff
Bünde (WB). Zwei Ärzte aus Lübbecke müssen einem Kraftfahrer aus Bünde (Kreis Herford) 50 000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz zahlen. Nach Auffassung des Oberlandesgerichtes in Hamm sind die Mediziner dafür verantwortlich, dass der Mann erheblich an Sehkraft verloren hat, seinen Beruf aufgeben musste und heute Frührentner ist.
Klaus-Werner D. und Rechtsanwältin Sabine Hippel: Mehr als drei Jahre dauerte der Rechtsstreit des Patienten, der vor einer fehlerhaften Behandlung auf jedem Auge 100 Prozent Sehkraft hatte. Foto: Althoff

Klaus-Werner D. (54) war 1998 mit kolikartigen Schmerzen und Verdacht auf Nierenstein ins Krankenhaus Lübbecke gekommen. Dort erlitt er eine schwere Blutvergiftung mit hohem Fieber, die mit Antibiotika behandelt wurde. »Eines Morgens konnte ich nur noch verschwommen sehen«, erinnert sich der Frührentner. Trotzdem habe ihn das Krankenhaus erst nach vier Tagen zu einem Augenarzt gefahren. »Der stellte fest, dass ich eine Pilzerkrankung beider Netzhäute hatte und erklärte, für diese Erkrankung gebe es keine spezielle Theraphie.«
Klaus-Werner D. wurde zurück ins Krankenhaus verlegt, wo sein Sehvermögen von Tag zu Tag weiter nachließ. »Eine Woche nach der ersten Untersuchung brachte man mich endlich zu einem anderen Augenarzt, weil der erste inzwischen in Urlaub gefahren war.« Dieser zweite Arzt erkannte den Ernst der Lage und überwies den Patienten in die Medizinische Hochschule Hannover. Hier wurde in zwei Operationen an beiden Augen eine sogenannte Vitrektomie vorgenommen. Dabei wurden vom Pilz befallene Teile des geleeartigen Glaskörpers (er bildet den hinteren Teil des Auges und grenzt an die Netzhaut) entfernt. Außerdem wurden die Augen medikamentös versorgt.
»Als ich entlassen wurde, konnte ich die Zeitung nur noch mit einer Leuchtlupe lesen«, erinnert sich der 54-Jährige. Seine Arbeit als Kraftfahrer musste er damals ebenso aufgeben wie seine Tätigkeit als Obmann der Altherrenfußballmannschaft beim SV Bünde-Ahle. »Mit der Zeit verbesserte sich meine Sehkraft links mit Brille auf 70 Prozent und rechts auf zehn Prozent - viel zu wenig, um weiter als Kraftfahrer zu arbeiten.« Weil der Bünder außerdem an Diabetes und Asthma leidet, stufte ihn das Versorgungsamt Bielefeld als zu 100 Prozent erwerbsunfähig ein. »Meine Frau und ich haben uns damals gefragt, ob das alles Schicksal war, oder ob meine Augenerkrankung zu verhindern gewesen wäre. Deshalb haben wir 2001 eine Klage eingereicht.«
Rechtsanwältin Sabine Hippel aus Herford, die auf Medizinhaftungsrecht spezialisiert ist, erreichte zunächst vor dem Landgericht Bielefeld einen Etappensieg: Ein vom Gericht bestellter Gutachter kam zu dem Schluss, das Verhalten des Augenarztes habe »einen schweren Verstoß gegen ärztliche Standards« dargestellt. Die Pilzerkrankung der Netzhaut sei ein Notfall gewesen und habe sofort behandelt werden müssen. Sabine Hippel: »Der Arzt hatte sich vor Gericht mit dem Hinweis verteidigt, zu seiner Studienzeit habe es noch keine Therapie für diese Erkrankung gegeben. Der Gutachter hielt ihm allerdings entgegen, dass er zumindest sofort ein pilzbeämpfendes Medikament ins Auge hätte geben müssen.« Ein zweiter Experte belastete zudem den behandelnden Urologen des Krankenhauses Lübbecke: Obwohl der Patient eine Harnstauungsniere und drei Tage lang mehr als 39 Grad Fieber gehabt habe, sei ihm in dieser Zeit kein Katheter gelegt worden. Dieses habe das Entstehen einer Infektion begünstigt, die schließlich die Augen erreicht habe. Auch habe der Urologe dem Patienten zu spät pilzhemmende Medikamenten gegeben.
Das Landgericht Bielefeld sprach Klaus-Werner D. daraufhin 16 000 Euro zu, doch der Augenarzt ging in die Berufung - vergebens: Das Oberlandesgericht Hamm hielt sogar Schadensersatz und Schmerzensgeld von 50 000 Euro für angemessen. Einem entsprechende Vergleich stimmte der Arzt schließlich zu.
Sabine Hippel: »Der Fall zeigt, dass gerade an Fachärzte hohe Anforderungen an die Weiterbildung gestellt werden und sich ein Mediziner nicht, wie der Augenarzt, auf das Wissen berufen kann, das er sich als Student angeeignet hat.«

Artikel vom 05.03.2005