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Wieder treffen unsere Blicke aufeinander. Daraufhin färbt sich das Gesicht des Herzogs vor Zorn. »Der Tag wird kommen, Capitán, an dem Ihr lernen werdet, wie Ihr mit unserem Stand umzugehen habt. Es ist skandalös, ja, eine Schande, einen Handwerker der Malerei meinesgleichen vorzuziehen!«
»Hört, hört! Ein Herzog und ein MalerÉ!«, johlen die Seeleute an Deck.
»Gebt doch einfach mal Frieden!«, rutscht es mir heraus.
Der Kapitän überhört meine Bemerkung und sagt in versöhnlichem Ton: »Ich möchte Euch an meine Tafel bitten, sobald Ihr Euren Zustand überwunden habt.«
Bei dieser Bemerkung beginnt der Herzog wieder zu würgen. Daraufhin zieht sich der Kapitän zurück, während ich beobachte, wie der Herzog sich unwillig entkleiden lässt. Auch ich ziehe mich zurück, um mich umzuziehen.
Als ich später wieder an Deck trete, bemerke ich Unruhe auf dem Oberdeck. Juan steht an der Reling und blickt nach unten.
»Ist etwas vorgefallen?«, frage ich ihn.
»Der Herzog liegt bewusstlos dort unten. Ich hörte nur einen Schrei und einen dumpfen AufschlagÉ«
»Noch eine Laterne!«, höre ich den Schiffsarzt rufen.
»Was ist mit dem Herzog?«, rufe ich hinunter.
»Er blutet am KopfÉ«, bekomme ich als Antwort.
Juan blickt mich mit seinen dunklen Augen groß an. »Vielleicht hat ihn Gott bestraft für das, was er uns angetan hatÉ«
»Kann sein, Juan. Doch ich wünschte mir, dass er uns in Frieden lässt. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich keine große Hoffnung.«

27./28. Januar 1649

K
apitän de Bazán vermeidet das gewöhnliche Kombüsenessen. Der Kochsmaat Martinez ist für seine speziellen Wünsche verantwortlich. Ein weiteres Mal hat er daher seine Kajüte festlich zum Nachtmahl eindecken lassen. Genüsslich verzehre ich zusammen mit weiteren vier ausgewählten jungen Offizieren Ochsenzunge und zartes Rindfleisch, das wir vor zwei Tagen auf den Balearen frisch an Bord übernommen haben.
»Meine Herren! Auf allen Schiffen der Meere werden zwar täglich die Maden aus dem Hartbrot geklopft, doch ich schwöre Ihnen: Seitdem ich Capitán bin, wird weder das Ýlebendige BrotÜ noch Erbsensuppe oder gar eingelegter Kohl in meiner Kapitänskajüte aufgetischt. Ich hasse außerdem Salzfleisch, dessen Vertilgung auf See mich immer schon einen harten Kampf gekostet hatÉ«, vernehme ich prahlerisch die Stimme des Kapitäns. Anerkennendes Nicken der Offiziere stimmt ihn freundlich, fördert aber auch seinen Hang zu weiterem Eigenlob. So tönt er unbekümmert in die Runde: »Ich kenne nur einen Maßstab an meiner Tafel! Es ist der Maßstab, der für den Empfang eines Admirals an Bord gilt É«, und, nach einem Seitenblick auf mich, »É und für Freunde des Königs.«
Kaum hat er geendet, ordert Bazán den Rum. Als er in verzierten Gläsern gereicht wird, erhebt er sich. »Meine Herren! Ich hoffe, es erfüllt Sie mit Stolz, wenn ich rufe: Es lebe unser König und die königlich spanische Flotte, die das Weltreich zusammenhält!«
»Auf die königlich spanische Flotte!«, kommt es donnernd zurück.
Als Bazán sein Glas auf die Tischplatte knallt, ist dies das Zeichen für die übrigen Gäste, die Tafel aufzuheben. Die vier jungen Offiziere grüßen und verbeugen sich so steif und gezwungen, als ob sie das erste Mal die Kajüte des Kapitäns nach einem erlesenen Mahl verlassen würden.
Kapitän de Bazán ist ein großartiger Unterhalter. Man muss ihm allerdings zuhören können. Obwohl er mitunter Tausenderlei heraufbeschwört, so gleichen seine Erinnerungen immer weiten Ausflügen, die er mit üppiger Ironie, mit Situationsskizzen, Landschaftsprofilen und Wegkreuzungen spickt. Sein Charakter ist voller Widersprüche. So zieht er in seiner Kajüte mit Liebe eine Kletterpflanze hoch, die er jeden Tag selbst mit Süßwasser gießt, und kapert nebenbei, wie vor drei Tagen geschehen, mit großer Brutalität einen havarierten Kauffahrer aus Algerien und schleppt die Prise kurzerhand nach Mallorca. Ein mit zartblauem Samt eingefasster Spiegel an der Kajütwand gehört zu den gleichen Merkwürdigkeiten wie ein Strauß getrockneter Blumen, der mit einem weißen Seidenband an einer Griffleiste festgezurrt ist. Daneben entdeckte ich auf seinem Kartentisch zwei kleine gerahmte Emailbilder. Das eine zeigt die Entführung der Europa, das andere, oval gerahmt, das strenge Gesicht seines Vaters. Nicht zu übersehen ist neben der Schlafkoje das Beutestück aus einer ägyptischen Schebecke, ein edles Silbergestell mit einer befestigten Waschschüssel darauf, auf deren Besitz Bazán besonders stolz istÉ
»Habt Ihr nicht Lust, noch eine weitere Skizze für mein Bildnis anzufertigen?«, fragt er mich, als er wieder an den Tisch zurückkehrt.
»Ich bin ein Maler des Morgens, nicht der Nacht, wie Ihr wisst.«
»Zeigt mir noch einmal, wie weit mein Bild gediehen ist«, fordert er mich auf. Ich reiche ihm die vom Schiffszimmermann inzwischen auf einen Rahmen gespannte Leinwand. Bazán betrachtet eingehend seine profilierten Konturen. Die Bewegung seiner Mimik spiegelt seine Freude über seine schon deutlich hervortretenden Gesichtszüge.
»Ihr habt tatsächlich etwas von meiner Wesensart eingefangen.«
Ich bin erstaunt über sein Urteil, da das Bild im Grunde außer einigen Andeutungen der Modellierung noch nichts zeigt. Erst die räumliche Illusion aufgrund der feinen Übergänge zwischen dem Ton der Grundierung, den Farben von Haut und Kleidung wird irgendwann einmal den Charakter des Dargestellten deutlich hervortreten lassen. »Dies ist erst der Anfang«, erkläre ich ihm. »Ich zweifle daran, ob das Porträt an Bord der Atocha fertig wird, da die Bewegung der See es kaum zulässt, Pinselstrich für Pinselstrich die endgültige Malschicht aufzutragen.«
»Keine Bange. Seid versichert, Ihr werdet noch viel Zeit haben, das Bildnis zu vollenden«, sagt er in geheimnisvollen Ton.
»Viel Zeit É?«
»Sehr viel Zeit!«
»Nach Karte und Besteck laufen wir doch spätestens übermorgen in den Golf von Genua ein!«
»Dem will ich nicht widersprechen. Knappe acht Tage auf See, doch mindestens vierzig Tage Quarantäne auf der Reede vor Genua.«
»Capitán«, beginne ich zögernd zu fragen, »ist das wahr?«
»So wahr ich Kapitän dieses Schiffes bin, Don Diego.«
»Allmächtiger - vierzig TageÉ?«
»Ich habe es in Mallorca vom Schiffsführer des niederländischen Schnelltransporters erfahren, der neben uns ankerte. Er kam aus Genua. Ich kann die Hafenstädte verstehen. Die Seuche ist mörderisch - mortalega grande, wie sie in Italien sagen.«
»Lässt sich die Zeit denn nicht verkürzen?«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 12.03.2005