12.03.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 


Die Pharma-Kampagne, die ihr Domizil im Welthaus an der August-Bebel-Straße hat, schaut den deutschen Arzneimittelkonzernen in der Dritten Welt auf die Finger. Sie meldet sich aber auch bei Missständen zu Wort und kritisiert den Missbrauch von Marktmacht.
So beobachtet die Pharma-Kampagne derzeit das Bestreben von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte umzuwandeln in eine »wettbewerbsfähige Zulassungsbehörde«, in eine Arzneimittelagentur. »Ziel ist es, Medikamente schneller auf den Markt zu bringen - möglichst so schnell wie die britische Behörde, die für die Zulassung von Lipobay verantwortlich war«, sagt Schaaber. Der Cholesterinsenker ist nach Todesfällen vom Markt genommen worden.
Wie viele Ärzte auch, fürchtet Schaaber, dass die Arzneimittelsicherheit und Unabhängigkeit in Gefahr sind. »Schließlich soll die Agentur von der Industrie bezahlt werden. Das ist, krass gesagt, so als ob man Gerichte von der Mafia finanzieren lassen würde.« Als problematisch empfindet er auch, dass viele Studien über neue Medikamente von den Herstellerfirmen selbst finanziert werden. »Es gibt mittlerweile mehrere Beispiele dafür, dass unliebsame Ergebnisse unterdrückt wurden - wie bei den Cox-2-Hemmern gegen Rheuma.« 88 000 bis 140 000 Menschen in den USA haben durch ihre Einnahme von 1999 bis 2004 Herz-Kreislauf-Komplikationen erlitten - zum Teil mit tödlichen Folgen. Der Hersteller soll das Risiko seit Mitte der 90er Jahre gekannt haben.
Gleichwohl liegt Jörg Schaaber nichts an einem Kreuzzug gegen Arzneien und Pharmakonzerne: »Wenn man Medikamente benötigt, sollte man sie nehmen - dann aber auch die richtigen.« Dass die immer verschrieben werden, bezweifelt er. »Das Wissen der Ärzte ist oft veraltet, die Pharmakologie spielt in ihrer Ausbildung eine zu geringe Rolle. Zudem wirkt die intensive Werbung der Hersteller.«
Der Gesundheitswissenschaftler sieht in Deutschland eine mangelnde Versorgungsforschung. »Ärzte erzählen, dass sie alte Menschen, die ins Krankenhaus kommen, oft erst einmal auf Entzug setzen müssen. Sie schlucken fünf Pillen - oft nichtsahnend von verschiedenen Ärzten verschrieben -, die miteinander wechselwirken. Die sechste Pille nehmen sie dann, um unerwünschte Nebenwirkungen zu reduzieren.«
Ein Zuviel an Medikamenten gibt es aber nicht nur bei uns: »Irrationale Medikamente«, wie Schaaber sie nennt, werden auch auf die Märkte der Dritten Welt gebracht. Zum vierten Mal bereits hat die Pharma-Kampagne das Angebot deutscher Firmen in 46 Entwicklungsländern untersucht. Mehr als 2500 Arzneimittel wurden auf ihren Nutzen und ihre Bedeutsamkeit für die Gesundheitsversorgung bewertet. Das Fazit der Studie: Die Produkte sind oft veraltet, schädlich oder unsinnig zusammengesetzt, die »Waschzettel« mangelhaft. »39 Prozent der 2500 Arzneien genügen den Anforderungen nicht. Den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als unentbehrlich entsprechen nur 27 Prozent.«
Als unentbehrlich gilt zum Beispiel Eflornithin, ein Abfallprodukt der Krebsforschung. Es wird eingesetzt im Kampf gegen die Schlafkrankheit, die von der Tsetse-Fliege übertragen wird und an der jedes Jahr in Afrika eine halbe Million Menschen erkranken. Dennoch wurde es 1995 von Hoechst (heute Aventis) vom Markt genommen: als unrentabel.
Seine Renaissance erlebte Eflornithin 2000: Der Pharmakonzern Bristol Myers Squibb (BMS) hatte entdeckt, dass Eflornithin das Haarwachstum hemmt und es als Creme gegen den Damenbart auf den Markt gebracht. An der (kostspieligeren) Produktion eines intravenös zu spritzenden Medikamentes gegen die Schlafkrankheit hatte BMS kein Interesse. Öffentliche Proteste und die Weltgesundheitsorganisation bewogen Aventis 2001 dazu, die Produktion für weitere fünf Jahre aufzunehmen und das Mittel der WHO unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Die fünf Jahre sind 2006 um. »Wie es dann weitergeht, ist die Frage.«
Dafür aber kommen andere Medikamente auf die Wachstumsmärkte der Dritten Welt - wie Metamizol-Kombinationsmittel. »Seit 1987 ist das Schmerzmittel Metamizol in Deutschland in Kombination mit anderen Wirkstoffen wegen der schwerwiegenden Nebenwirkungen verboten, als Monopräparat unterliegt es strengen Bestimmungen. In Pakistan, Brasilien und Mexiko jedoch werden Metamizol-Kombipräparate weiter verkauft, auf die Nebenwirkungen wird nicht hingewiesen.« Ebenso wurde in Brasilien bis Ende Oktober 2003 ein Schlankheitsmittel mit Schilddrüsenhormon vermarktet. Hierzulande wurde es wegen gefährlicher Nebenwirkungen schon 1995 verboten.
Finanziell unterstützt wird die Arbeit der Pharma-Kampagne - die schon von dem britischen Schriftsteller John Le Carré genutzt und gewürdigt wurde - von der Evangelischen und der Katholischen Kirche, der EU und der Stiftung Umwelt und Entwicklung. »Die größte Einnahmequelle aber sind Spenden«, betont Schaaber. Das Spendenkonto bei der Sparkasse Bielefeld hat die Nummer 105 627.

Artikel vom 12.03.2005