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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs


Ein Vorwurf steht im Raum. Der Angegriffene ist hilflos. Nichts kann bewiesen werden. Kurze Zeit nur währt die Aufmerksamkeit der Leute, dann folgt eine Art inneren Achselzuckens und der Satz: »Irgendetwas wird schon an der Sache dran gewesen sein!« Was denken Sie darüber?
Es ist fatal, aber so arbeitet die öffentliche Wahrnehmung und leider auch unser eigenes Gedächtnis: Wenn jemandem erst einmal etwas vorgeworfen worden ist, lässt sich dieser Vorwurf kaum mehr vollständig aus der Welt schaffen. Denn eine Unterstellung ist erstens allemal interessanter als eine brave und einfache Tat. Und der Beweis des Gegenteils einer Unterstellung lässt zumeist so lange auf sich warten, bis sich ohnehin niemand mehr richtig dafür interessiert. Es bleibt eben tatsächlich etwas hängen.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Ein solches Phänomen ist nicht auf Fernsehen oder Zeitungen beschränkt. Irgendeinen Klatsch über eine Nachbarin oder den Vorgesetzen behalten die Leute immer im Gedächtnis, die einfache Alltagswahrheit ist nämlich viel langweiliger.
Die folgenden Gedanken sollen deshalb tröstend sein. Trösten können sie jemanden, der sich selbst als Opfer einer Unterstellung empfindet. Solche Gedanken können natürlich ebenso aufrütteln - dann nämlich, wenn jemand erlebt hat, wie einem anderen etwas unterstellt wurde und er selbst sich doch nicht eingemischt hat. Schließlich können sie auch ins Gewissen reden, denn irgend jemand muss ja die Unterstellung in die Welt gesetzt haben.
Trösten können sie deshalb, weil Opfer von Unterstellungen selbst jemand geworden ist, dem man nun wirklich keine niederen Motive vorwerfen konnte. Die Szene ist im Lukasevangelium berichtet (Kapitel 11, 14ff.): Jesus selbst war Opfer dieser Unterstellung. Man könnte meinen, dass Jesus jemand gewesen sei, dessen Integrität von niemandem in Zweifel gezogen worden wäre. Irrtum!
Er hatte nichts Böses getan, im Gegenteil. Er hatte gerade unterwegs einen stummen Mann von dessen Krankheit, Hemmung, Traumatisierung, Besessenheit oder von was auch immer geheilt. Auf jeden Fall konnte der Mann wieder sprechen. Aber man soll nicht meinen, dass Jesus deshalb nur Staunen und Dankbarkeit entgegengebracht worden sei. Weit gefehlt!
Denn in den Köpfen einiger Umstehender arbeitet es: Woher hat er diese Kräfte? Das alles kann doch nicht mit rechten Dingen zugegangen sein! Wahrscheinlich ist dieser Mann mit irgendwelchen bösen Kräften im Bunde . . .
Die Gedanken können noch so weit hergeholt sein, sie werden dennoch vorgebracht. Die Unterstellung steht im Raum. Und schon spricht gar keiner mehr von der Heilung, die gerade geschehen war, sondern von den bösen Motiven oder Kräften Jesu. So schnell ist die Aufmerksamkeit von der guten Sache abgebogen. Und die Unterstellung sitzt. Sie verletzt. Der Ruf Jesu war angegriffen.
Es ist müßig zu erwähnen, dass auch Jesus sich kaum wehren konnte. Seine Erwiderungen sind genau so hilflos, wie bei jedem von uns. Denn: »Es wird ja wohl doch etwas dran gewesen sein.« Wenn schon jemand wie Jesus nicht verschont blieb: Unterstellungen gehören zum Heimtückischsten, was Menschen gegen andere unternehmen können. Wünschen kann man Betroffenen nur ein breites Kreuz - das Kreuz von Jesus war nachher so breit, dass man ihn daran annageln konnte.
Wünschen muss man aber ebenso denjenigen, die eine Unterstellung in die Welt gesetzt haben, dass sie in sich gehen. Denn auch für solche zersetzenden Gedanken oder Worte werden wir uns einmal verantworten müssen.

Artikel vom 05.03.2005