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Ein Schleuser packt aus

Alexander M. (29) arbeitete für den ermordeten Bandenboss Nikolaj B.

Von Christian Althoff
Rietberg (WB). Vor neun Tagen haben Polizisten die Leiche des erschossenen Schleuser-Bosses Nikolaj B. (45) aus Oelde gefunden, der bis zu 16 500 Ukrainer illegal in den Westen geholt haben soll. Einer seiner Helfer hat jetzt gegenüber dem WESTFALEN-BLATT ausgepackt. Er berichtet von Scheinfirmen, Aktentaschen voller Dollarnoten und Morddrohungen.
Strafverteidiger Dr. Detlev Binder aus Bielefeld prüft, ob er. . .
. . .Außenminister Joschka Fischer als Entlastungszeugen benötigt.
500 Dollar zahlten Ukrainer für ihre Schleusung nach Deutschland. Alexander M. aus Rietberg übernahm das Geld in Dresden und brachte es dem Schleuserbandenboss Nikolaj B. nach Oelde. Foto: Jörn Hannemann
Alexander M. war 15 Jahre alt, als er 1990 als Mitglied der deutschen Minderheit mit Eltern und Geschwistern aus der Sowjetunion nach Deutschland übersiedelte und nach Rietberg (Kreis Güterloh) zog. Nachdem er seinen Hauptschulabschluss gemacht hatte, arbeitete er als Versicherungsmakler und lernte Nikolaj B. kennen. »Der hatte im Jahr 2000 in Oelde ein Reisebüro eröffnet. Dass das nur dem Zweck diente, Ukrainern die Einreise in den Westen zu ermöglichen, habe ich erst später erfahren«, erzählt Alexander M.
Im August 2000 habe B. ihn gefragt, ob er nicht auch ein Reisebüro aufmache wolle: »Damals war nämlich die Bestimmung eingeführt worden, dass jedes Reisebüro pro Woche nicht mehr als 50 Touristen aus der Ukraine herüberholen darf«, erinnert sich M. Am 23. August meldete er deshalb bei der Stadt Rietberg ein Gewerbe an und gründete als B.s Strohmann sein eigenes Touristikbüro: »Das bestand eigentlich nur aus einem Faxgerät in meinem Wohnzimmer.«
Dort trafen nun regelmäßig Listen mit den Namen von bis zu 50 Ukrainern ein, denen in ihrer Heimat von einem Partner-»Reisebüro« die Schleusung in den Westen versprochen worden war. Diese Namenslisten faxte Alexander M. an ein Hotel in Dresden, das ihm daraufhin eine Buchungsbestätigung für die Gruppe zurückfaxte. »Diese Bestätigung habe ich unserer ukrainischen Partnerfirma geschickt - zusammen mit der Beschreibung einer Busrundreise durch Deutschland, die ich mir ausgedacht hatte, und einer Reiseversicherungspolice.« Mit diesen Unterlagen besorgte das ukrainische Reisebüro bei der deutschen Botschaft in Kiew die auf sieben Tage beschränkten Touristenvisa und schaffte die Ukrainer mit Bussen nach Deutschland.
»Ich habe das alles für legal gehalten - bis ich am 26. Oktober 2000 ein Fax von der deutschen Botschaft erhielt, in dem es hieß, einer meiner Touristen wolle in Deutschland Asyl beantragen. Da ahnte ich, dass etwas faul war, aber B. sagte, er habe alles im Griff und ich solle einfach weitermachen.« Das tat Alexander M. auch: Dreimal fuhr er im Auftrag von B. nach Dresden, wo die Ukrainer vor ihrer Weiterreise nach Italien, Portugal und Spanien übernachteten. Dort traf sich Alexander M. mit den Busfahrern, die die Ukrainer in den Westen gebracht hatten. »Die Fahrer übergaben mir Geld: 500 Dollar von jedem Ukrainer. Einmal waren es 25 000 Dollar, bei zwei anderen Gelegenheiten habe ich jeweils 20 000 Dollar abgeholt.« Das Geld habe er Nikolaj B. ausgehändigt: »Der hat dann den Hotels für die gefälschten Buchungsbestätigungen zehn Dollar pro Namen bezahlt, und ich habe 30 Dollar für jeden Geschleusten bekommen.« In die Versuchung, sich mit dem Geld abzusetzen, sei er nicht gekommen, erzählt der Schleuser: »Das hätte ich nicht überlebt. B. hätte nicht gezögert, mich umzubringen«, sagt der 29-Jährige und erinnert sich: »Als ich mitbekam, um welche Summen es ging, wusste ich, dass die ganze Sache illegal sein musste. Ich sagte B., dass ich nicht mehr mitmachen wollte, aber er lachte nur. Er sagte, er hätte sich für diesen Fall eigentlich vorgenommen, mich zu erschießen. Aber es sei wohl besser, mich mit Heroin vollzupumpen.« Da habe er nichts mehr gesagt und weitergemacht - bis B. im Juli 2001 verhaftet worden war.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Nikolaj B. und seine Komplizen bis zu 16 500 Ukrainer geschleust haben. Was der Bandenboss mit den Millioneneinnahmen gemacht hat, wissen die Ermittler nicht. Bevor sich B. im November 2004 vor Gericht verantworten und auspacken konnte, wurde er erschossen. Angeblich soll er der tschetschenischen Mafia 700 000 Euro geschuldet haben.
Alexander M. ist inzwischen für seine Mittäterschaft zur Verantwortung gezogen worden: Das Amtsgericht Gütersloh hat ihn am 28. Januar dieses Jahres wegen der Schleusung von 586 Ukrainern zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. »Zu viel«, wie sein jetziger Strafverteidiger Dr. Detlev Binder meint: »Mein Mandant hat sich dem Bundesgrenzschutz als Kronzeuge zur Verfügung gestellt und den Ermittlern tiefe Einblicke in die Strukturen der Schleuserbande verschafft. Das ist vom Gericht nicht gewürdigt worden.« Zudem habe die Bundesregierung mit ihrer laxen Visaregelung der Schleusung Vorschub geleistet und die Taten erst möglich gemacht. »Deshalb prüfen wir gerade, ob es sinnvoll ist, in der Berufungsverhandlung Außenminister Joschka Fischer als Zeugen zu hören«, erklärte Binder.

Artikel vom 05.03.2005