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Leitartikel
Deutschland- Ukraine

Deutschen Papieren vertraut


Von Reinhard Brockmann
Die Ukraine und Deutschland - das ist die Beziehung zwischen einer jungen Nation, die sich soeben durch eine friedliche Revolution geadelt hat, und einer in die Jahre gekommenen Demokratie, in der satte Alt-68er wieder Denkrichtungen vorgeben wollen.
Es ist gut, dass der vom Volk getragene neue ukrainische Staatspräsident Viktor Juschtschenko am kommenden Mittwoch vor dem Deutschen Bundestag sprechen darf. Auch wenn er, entgegen der Tradition des Hohen Hauses, erst noch das leisten muss, was seine bislang etwa 20 ausländischen Vorredner schon bewiesen hatten, bevor sie im Bundestag ein Gastrede hielten.
Zu Unrecht wirft die Visa-Affäre einen Schatten auf die Ukrainer. Die katastrophale Visa- und Ausländerpolitik, nicht die Bemühungen um ihre Aufarbeitung, überfordern möglicherweise den Gast, der sich des Wohlwollens aller Bundestagsparteien sicher sein darf.
Joschka Fischers Anwürfe vom letzten Samstag, mit der Visa-Affäre solle eine ganzes Volk zu Kriminellen abgestempelt werden, verstellen den Blick. Es geht nicht um den legitimen Reisewunsch aller Osteuropäer, sondern um internationale Standards und Sicherheitsanforderungen. Sie wurden gebrochen durch die linke Hand des Kanzlers (Fischer/Volmer), die die Bedenken der rechter Hand (Schily und die Länderinnenminister) nicht gelten lies.
900 000 Touristenvisa wurden im Sinne des Fischer-Schleuser-Erlasses in Kiew erteilt. Niemand sagt deshalb, dass 900 000 Zuhälter und Kleinkriminelle die Reise nach Westen antraten. Allein Deutschlands höchster Diplomat behauptet diesen Zusammenhang: »Die Opposition soll endlich aufhören ein tapferes, ein ganzes Volk der Ukraine als Kriminelle zu stigmatisieren, nur um innenpolitisch einen Wahlvorteil zu haben«.
Alle die, die Fischer zujubelten und jetzt seine Version in die Debatte tragen, ziehen eine direkte Linie zu den Bildern »der frierenden Studenten, die sich im letzten Dezember einsetzten unter hohem persönlichen Risiko für die Grundwerte des neuen Europas, nämlich das jedes Volk in freier Selbstbestimmung und in freien und geheimen Wahlen entscheidet, wer es regiert«.
Das Ablenkungsmanöver darf nicht gelingen: Die Revolution in Kiew haben nicht die sieben Millionen Ukrainer gemacht, die ihrem Land den Rücken gekehrt haben. Nein, die orangefarben Schals trugen jene, die geblieben sind. Visa-Erschleichung gab es auch in anderen Staaten, wir werden noch davon hören.
Im übrigen gibt es Rückkehrerinnen, die Deutschland von der übelsten Seite kennen gelernt haben. Viele von ihnen haben sich damals nur deshalb auf das Abenteuer Deutschland eingelassen, weil sich sich im Besitz ordnungsgemäßer Papiere eines angesehenen Rechtsstaates wähnten.
Juschtschenko kennt diese Fälle, aber wir halten ihn für viel zu anständig, als dass er die schlimmen Erfahrungen seiner Landsleute in Berlin ausbreiten würde.

Artikel vom 05.03.2005