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»Das Licht ist meine vierte Dimension«

Der Glas-»Gestalter« und Kunsterzieher aus Marienfeld will Kunst und Architektur versöhnen

Von Matthias Meyer zur Heyde
und Wolfgang Wotke (Fotos)
Marienfeld/Hamburg (WB). Licht erweckt die Dinge zum Leben, Licht vertreibt die Finsternis, Licht ist seine vierte Dimension: Georg Michael Gausling formt aus Glas Objekte, die Symbole dieser Welt sein dürfen und zugleich kommentierend ihren Kern, ihr Wesen erhellen. Der 67-Jährige wird jetzt mit einer großen Ausstellung in Hamburg gewürdigt.

Einen »Glaskünstler« mag sich der gebürtige Gütersloher nicht nennen - »Glasgestalter« treffe sein Tun genauer, versichert Gausling, in dessen Atelier auf dem Gelände des Klosters Marienfeld das zerbrechliche Material in nie gekannten Farben zu nie erahnter Leuchtkraft erwacht. Ornamental ineinander verschlungene Leiber von Mann und Frau, eine Vorstudie zur atemberaubenden Kuppel des Gütersloher Parkhotels, orientalische Impressionen mit glühende Augenpaare in einer Mauer aus düsteren Tschadors, Schmuck: Wer Gauslings Welt betritt, dem weitet sich der Blick tatsächlich in eine neue, vierte Dimension.
Er selbst kleidet seine Arbeit in betont nüchterne Worte: »Ich mache die Löcher zu, die der Architekt mir lässt«, sagt Gausling, der einzige Künstler seiner Art weit und breit, der einen einsamen Kampf gegen die »postmoderne Dreifaltigkeit« aus stumpfem Beton, ödem Stahl und totem Industrieglas kämpft. Langeweile in Serie statt fesselnder Farbigkeit. »Wo Architekten sich bloß verwirklichen wollen, führt die Kunst im öffentlichen Raum ein Schattendasein.«
Es geht nämlich auch anders. Eine höchst ungewöhnliche Ausschreibung, durchgeführt vom Bischof von Pécs (Ungarn) - »Wer kann das Confiteor aufsagen?« -, entschied der ehemalige Ministrant Georg Michael Gausling zu seinen Gunsten: 1984 zog er einen Regenbogen über elf der 22 Stichkappenfenster in der Votivkirche von Mohács und stellte diesem universalen Friedenssymbol in weiteren neun Fenstern eine Wolke mit lebenspendendem Regen gegenüber.
»Der Innenraum wurde auf einmal lebendig; die Glasscheiben brechen durch das einfallende Licht die Farben und schaffen eine gehobene Atmosphäre«, staunte die Kunsthistorikerin Maria Husz im Fachorgan »Mûvészet« und fuhr fort: »Ohne jegliche Prunksucht hebt die Glaskomposition die Werte dieses puritanen, nüchternen Raumes hervor, um dem Anspruch der Einkehrenden nach Schönheit und Andacht zu genügen und eine Stimmung für stille Meditation zu schaffen.«
Sensibel formuliert, angemessen dargestellt. In Ungarn, wo der verspielte Charme des Jugendstils bis heute fortwirkt, ist Gausling ein hochgeachteter Künstler, der viele Jahre an der Universität Budapest lehrte. »In Deutschland lautet die erste, die entscheidende Frage nur: Was kostet das?« Und der Finanzbeamte, immer auf der Suche nach anzapfbaren Geldquellen, entscheide, wo die steuerlich begünstigte Kunst aufhöre und das Handwerk anfange . . .
Um so ernster nimmt Gausling seine Tätigkeit als Kunstlehrer am Christophorus-Gymnasium Versmold. Kunst-»Erzieher« träfe es besser: »Die Kinder müssen erst einmal sehen lernen«, sagt Gausling. Und die komplexe Technik der Glasverarbeitung will auch gelernt sein. Allmählich aber erstehen unter den Händen der Schüler einzigartige Obstschalen, gläserne Wände, die ein echter Hingucker sind, und Mosaike, die die Stimmung der vier Jahreszeiten einfangen. Dem Material sei Dank, denn »Glas ist Stoff gewordenes Licht.«
Doch eine einzige Hütte in Deutschland ist verblieben (weltweit sind es nur noch fünf), aus der Gausling sein mundgeblasenes Glas beziehen kann. In dieser nüchternen, allem Schönen abholden Umgebung muss der Marienfelder um den Fortbestand seiner Kunst fürchten. Georg Michael Gauslings Blick richtet sich schon ins All: »Die Mondoberfläche ist übersät von Glas, entstanden in der Gluthitze der im siliziumhaltigen Gestein einschlagenden Meteoriten.« Und mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu: »Auf dem Mond könnte ich also gut leben.«

Artikel vom 02.03.2005