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Eltern sparen auf
Kosten der Kinder

Forscher fordert Erziehungskurse

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld/Hamburg (WB). Der Tod der siebenjährigen Jessica aus Hamburg müsse der Gesellschaft endlich die Augen öffnen. »Dieser Extremfall kommt in abgemilderter Form täglich tausendfach in Deutschland vor«, sagte der Jugendforscher Dr. Christian Palentien (Universität Bielefeld) dieser Zeitung.
Christian Palentien: Probleme frühzeitig erkennen.
Die 35-jährige Mutter und der 49 Jahre alte Vater hatten, wie berichtet, das Mädchen wie eine Gefangene gehalten und verhungern lassen. Ferner hatten die Eltern das Kind nicht zur Schule geschickt.
Nach Angaben von Palentien nehme die absolute Armut in Deutschland zu. Wenn immer weniger Geld vorhanden sei, werde in der Familie bei den Schwächsten gespart und das seien die Kinder. Kinder könnten sich nicht wehren und hätten keine Lobby. Das wenige Geld werde lieber für Urlaub und Kleidung ausgegeben, da vielen Eltern die Kompetenz fehle, einen Haushalt richtig zu führen.
Wenn Eltern befürchten müssten, dass ihre Kinder über die Armut zum Beispiel in der Schule erzählten, würden sie weggesperrt, sagte Palentien. Auch Eltern würden sich zurückziehen, nicht mehr mit den Nachbarn sprechen und soziale Kontakte meiden.
Vor 30 Jahren sei die Haushaltsführung, der Umgang mit Geld, noch in der Schule vermittelt worden. Diese finanzielle Kompetenz fehle heute vielen Eltern. Deshalb sei es notwendig, dass Kinder in der Schule in einem neuen Fach Pädagogik unterrichtet und zum Beispiel über Erziehung etwas lernen würden, sagte Palentien, der sich gemeinsam mit Jugendforscher Klaus Hurrelmann an der Universität Bielefeld mit der Armut im Kindes- und Jugendalter befasst. Ferner müssten frischgebackenen Eltern, bei denen familiäre Probleme bereits nach der Geburt des Kindes erkennbar seien, Gutscheine für den Besuch eines Erziehungskurses erhalten. Zum Abschluss des Kurses könne dann ein »Elternführerschein« vergeben werden. Der Hamburger Todesfall sei noch ein Einzelfall. Palentien: »Wenn wir nichts unternehmen, werden sich die Fälle häufen.« Ein Skandalsei es zudem, dass die Hamburger Schulbehörde die Schulpflicht des bereits siebenjährigen Kindes nicht kurzfristig mit allen rechtlichen Mitteln durchgesetzt habe.

Artikel vom 03.03.2005