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Leitartikel
5,2 Millionen ohne Job

Lethargie
schafft
keine Arbeit


Von Bernhard Hertlein
Was macht ein Bundeskanzler, der mal vor Jahren zu Beginn seiner Amtszeit angekündigt hat, er wolle die Arbeitslosenzahl unter die Drei-Millionen-Grenze drücken, angesichts des jetzigen Anstiegs auf mehr als 5,2 Millionen? Zurücktreten? Die Ärmel aufkrempeln? Alle an einen Tisch holen? Mit einer Steuer-, Sozial- oder Arbeitsrechtsreform die Unternehmer locken?
Nicht dass Gerhard Schröder gestern zum Zeitpunkt dieser neuen Horrormeldung aus Nürnberg in Kuweit weilte, sollte man ihm vorhalten. Aber dass er dort so wenig Betroffenheit über die Entwicklung zu Hause zeigte, stimmt schon sehr nachdenklich. Wir brauchen keine Regierung, die jetzt in Panik verfällt. Aber eine, die sich in Lethargie selbst gefällt, ist erst recht fehl am Platz.
Sicher ist ein Teil des Anstiegs auf »Hartz IV« zurückzuführen. 360 000, so sagen die Statistiker, sind durch die Reform zu neuen Arbeitssuchenden gemacht worden. Doch ebenso wichtig -Êund erschreckend - ist die andere Seite der Bilanz: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist seit November 2004 um 300 000 auf jetzt nur noch 26,4 Millionen gesunken.
CDU, CSU und FDP machen in dieser Situation das, was die politische Opposition angesichts einer solchen Talfahrt tun muss: Sie trommeln und pfeifen, um die Regierung wach zu rütteln. Den Beweis, dass sie es besser können, müssen sie noch verschieben. Ihre Idee, jene steuerlich besser zu stellen, die Gewinne einsetzen, um Arbeitsplätze zu schaffen, kann ja nicht verkehrt sein -Êvor allem, wenn das Gesetz am Ende so konstruiert ist, dass davon in erster Linie mittelständische Unternehmer profitieren.
Einiges hat auch die derzeitige Koalition getan, um Wünschen aus der Wirtschaft nachzukommen. Die Hartz-Reformen etwa entsprechen den Forderungen ihrer Verbände. Hielten sich die Vertreter der Wirtschaft deshalb gestern so auffällig mit Stellungnahmen zur Arbeitsmarktentwicklung zurück?
Ohne Zweifel ist die augenblickliche Stimmung in Deutschland schlecht. Dafür ist zum Teil die Regierung verantwortlich, die mit ihrer Lethargie in Wirtschaftsdingen und vielen kleinen Gängelungen vor allem kleine und mittelständische Unternehmer häufig verärgert und ihre eigenen Reformen unterläuft.
Daran tragen aber auch die Unternehmen - vor allem die großen Konzerne - schuld, die sich nicht mehr als Arbeit-Geber verstehen, sondern nur als Instrumente zur Renditesteigerung. Wenn aus allen Unternehmern Kostenrechner werden, kann die Arbeitsmarktstatistik gar keine andere Richtung nehmen als die Fortsetzung der Talfahrt.
Zum Glück ist es so weit nun doch nicht. Zum Glück gibt es sie noch, die Firmenkonjunkturen - und die kleinen Bündnisse vor Ort, die die Arbeitsplätze in Zeiten einer Krise für eine bestimmte Zeit schützen. Diese Aktionen und Bündnisse haben mehr verdient als Lethargie und Gleichgültigkeit.

Artikel vom 02.03.2005