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Die Kieler SPD zeigt erste Risse

Große Koalition ist vorerst vom Tisch - dennoch nicht ausgeschlossen

Von Reinhard Brockmann
Kiel (WB). Rätselraten in Kiel nach dem Rückzug von Wirtschaftsminister Bernd Rohwer: Ist die große Koalition endgültig vom Tisch, oder zeigt die gar nicht so geschlossene SPD-Fraktion im Kieler Landtag am Ende der kommenden Verhandlungen über »Rot-Grün-plus« doch noch Risse?

»Keine Einigung« lautet gestern Abend das eine Signal: Die Sondierungsverhandlungen der SPD im Vorfeld mit CDU, Grünen und SSW endeten, wie erwartet - nämlich mit einem Startschuss für offizielle Koalitionsverhandlungen mit dem bisherigen Bündnispartner, den Grünen. Damit deuten die Zeichen an der Förde vorerst auf die neue Positiv-Formel »Rot-Grün-plus« Südschleswigschen Wählerverband (SSW).
Das andere Signal verstehen Unionsleute als Hinweis auf einen Zug in die Gegenrichtung. Die SPD wackelt, zeigt Risse: Vermutlich als Konsequenz aus der Entscheidung gegen eine große Koalition soll Minister Rohwer (SPD) am gestrigen Nachmittag seinen Rücktritt angekündigt haben. Schon am Wahlabend hatte er dem »Flensburger Tageblatt« seine Bedenken gegenüber einer rot-grünen Minderheitsregierung zu erkennen gegeben. In den letzten Jahren war er es, der in Kiel stellvertretend für viele mit den Grünen über Kreuz lag.
Kreise der Bundes-CDU verweisen auf Abweichler und ein größeres Reservoir an Reservierten beim politischen Gegner: »Es gibt nicht nur Simonis-Leute, sondern auch welche, die sich auf die Zeit nach Simonis einrichten.« Sozialdemokratische Realos wiederum wüssten, dass sie nur mit einer großen Koalition die Karre aus dem schweren Sumpf zwischen den Meeren ziehen könnten.
Kaum eine Rolle spielt in Kiel ein ganz anderes gewichtiges Argument: Einer vom SSW geduldeten Rot-grünen-Landesregierung würde in allen neun Landtagsausschüssen die Mehrheit fehlen. CDU und FDP könnten durchweg Beschlüsse gegen die Regierungslinie fassen. Empfehlungen des Hauptausschusses müssten dann im Parlament »umgedreht« werden. Zu welchen verfassungsrechtlichen Konsequenzen das führt, ist juristisch absolutes Neuland.
Näher dran sind die Beobachter in Kiel. Die wollen ergründet haben, dass Ministerpräsidentin Simonis vom schönen Amt nicht loslassen kann. Sie sei offenbar nicht bereit, in einer großen Koalition auf den Posten der Ministerpräsidentin zu verzichten.
Ausgesprochen verärgert reagierte gestern unabhängig davon die Sprecherin der dänischen Minderheit Anke Spoorendonk auf Anwürfe von Seiten der Union. Bundespolitiker hatten den SSW massiv vor der Unterstützung einer rot-grünen Minderheitsregierung gewarnt. »Alle zeigen, dass sie von Minderheitenpolitik und von Schleswig-Holstein keine Ahnung haben«, sagte Spoorendonk. »Ich bin wirklich aufgebracht darüber, was man sich anhören muss.« Der Druck sei unerträglich und schädlich. »Nicht wir sind diejenigen, die Schaden anrichten, sondern andere machen das«, sagte Spoorendonk. Der SSW habe seinen Kurs schon im September bekannt gegeben.
Unterdessen wies der Fraktionschef der dänischen Konservativen im Kopenhagener Folketing, Helge Adam Møller, die Kritik an der Rolle des SSW zurück. Møller sagte über Forderungen aus seiner deutschen Schwesterpartei CDU, dass der SSW wegen der Befreiung von der Fünf-Prozent-Klausel nicht als Mehrheitsbeschaffer fungieren dürfe: »Sicher bin ich auch konservativ und würde eine CDU-Regierung vorziehen. Vor allem aber bin ich Demokrat. Und für den ist völlig klar, dass der SSW seit 50 Jahren über vollgültige Mandate im Landtag verfügt.«

Artikel vom 01.03.2005