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Als Deutschland wieder zum Himmel aufblickte
Neustart der Deutschen Lufthansa 1955 - blaues Fliegertuch aus Bielefeld
»In einem gewaltigen Raubtier, das gerade zum Sprung ansetzen will«: Stolz und Verzagtheit rangen mit Raimund Eberle an Bord des ersten Lufthansa-Flugs nach dem Krieg am 1. April 1955.
Ehrfürchtig drückten sich Eberle und 16 Mitreisende in die Schaumgummisessel der »Convair 340«, die um 7.42 Uhr mit dröhnenden Propellern über die Startbahn von München-Riem rumpelte. Mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches war der Kranich vom Himmel geholt worden. Endlich durfte er zum friedlichen Höhenflug starten. Eine Minute später hob in Hamburg »Convair 340 D-ACEF« in Gegenrichtung ab.
Der doppelte Neustart wurde zum Durchstart für Nachkriegsdeutschland, getragen von großer Euphorie. »Pan American«, die größte US-Linie der Nachkriegsjahre, schaltete Anzeigen: »Hallo Lufthansa! In der Reihe der Weltfluggesellschaften heißen wir das ÝneueÜ alte Mitglied willkommen«. Die sich langsam wieder selbst findende Nation hob fasziniert den Kopf zum Blick in einen neuen Himmel.
Ob vom Flügelschlag des Kranichs oder vom einsetzenden Wirtschaftswunder getrieben: Gleich nach der Wiederaufnahme des Luftverkehrs 1955 begann der Aufbruch in alle Welt: Erster Linienflug nach Madrid am 15. Mai, Start des Linienflugverkehrs nach London am 16. Mai und - einen Tag später - nach Paris.
Am 8. Juni folgte mit dem ersten Nordatlantikflug nach New York auch der Start des interkontinentalen Linienverkehrs. Planmäßig ging es mit einer viermotorigen Propellermaschine vom Typ Lockheed L 1049 G »Super Constellation« von Hamburg über Düsseldorf und Shannon in die Weltstadt am Hudson River. Reisegeschwindigkeit: 530 km/h.
Der Südatlantik wurde 1956 »wiedereröffnet«, gefolgt von einer neuen Nahostverbindung nach Istanbul, Bagdad, Teheran. Am 1. November 1959 startete der erste Linienflug auf der Asien-Südroute nach Kalkutta und Bangkok. 1960 folgte die Linie an die amerikanische Westküste (San Francisco) und 1962 die Aufnahme von Lagos/Nigeria und Johannesburg (über Athen, Khartum und Nairobi) in das Streckennetz.
Weltweite Flüge, nicht nur auf immer mehr Routen, sondern auch in besseren Flugzeugen, trugen das Wachstum. Als erste Airline in Europa flog Lufthansa ihre Langstrecken von 1970 an mit dem Jumbo.
Damals wie heute präsentiert sich die Airline nicht allein durch ihre Technik, sondern mehr noch über weltweit 120 000 Mitarbeiter. Im noblen Dunkelblau - geschneidert von Jobis in Bielefeld - kommen die Lufthanseaten seitdem daher. Fast ununterbrochen lieferte das Bielefelder Textilunternehmen seit 1955 die Dienstkleidung.
Johannes Marcher, damals Chefdesigner bei Jobis, ist es zu verdanken, dass klassisches Blau zum Tragen kam. Die Gründer hatten Kranich-Gelb im Sinn. Allerdings konnten es die Traditionalisten vom Teuto nicht verhindern, dass es bei der Lufthansa in den wilden Siebzigern doch eine gelbe Episode gab - mit Minirock und optischen Ausflügen ins Türkis und Lind gab. Bei allen Moden ist das Design der schlichten Linie und der »Pillbox« treu geblieben - dem kleinen Damenhut.
Anknüpfungspunkt für den Neuanfang sei Pioniergeist gewesen, erinnert sich Jürgen Weber - und der legendäre Ruf eines Unternehmens, das als »Luft Hansa« die frühe Entwicklung der Verkehrsluftfahrt entscheidend geprägt habe. Unermüdlich habe vor allem Hans M. Bongers die entbehrungsreichen Jahre, in denen Deutschland jede fliegerische Betätigung verboten war, genutzt, um Pläne für die Wiedergeburt der deutschen Verkehrsluftfahrt zu schmieden, erzählt Weber, heute Aufsichtsratsvorsitzender. Bongers, der ehemalige Verkehrsleiter bei der alten Luft Hansa, hatte in einem kleinen Wirtschaftsbüro mit Sitz in Bitburg die besten Köpfe der ehemaligen Fluggesellschaft um sich geschart. »Büro Bongers« ist als Wiege der neuen Lufthansa in die Geschichte eingegangen.
1951 wurde Bongers von Verkehrsminister Hans-Christoph Seebohm zum Berater der Bundesregierung ernannt. Es war ein Aufsehen erregender Anfang, erzählt Weber mit nostalgischer Wehmut. Fast so wie in jenen Tagen, an denen mutige Piloten noch ohne Blindfluginstrumente durch diesige, neblige Nächte flogen, sei der Neuanfang gewesen.
Die Gründerväter der frühen 20er Jahre orientierten sich tatsächlich an den Leuchttürmen der Schifffahrt und transportierten eine Idee - den weltweiten Flugverkehr im Zeichen des Kranichs.Reinhard Brockmann

Artikel vom 12.03.2005