01.03.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Krüppelprozess:
Eklat vor Gericht

Das Unfallopfer soll nur simulieren

Bielefeld (hz). Eklat vor dem Landgericht: Beim 3. Tag des so genannten Krüppelprozesses bekannte eine Pastorin (40), dass sie beim seelsorgerlichen Gespräch die Hauptverdächtige Birgit K. (39) in der Untersuchungshaft mit wichtigen Informationen einer zweiten Tatverdächtigen versorgt habe. Zudem erklärten die Geistliche aus Sennestadt und die Mitangeklagte Christiane G. (46), dass Heinrich J. (55), der sich wegen Versicherungsbetruges zwei Mal vom Auto überrollen ließ, seine Gehbehinderung nur simuliere.

Dieser Behauptung wollten sich weder Dr. Alfred Du Chesne, Oberarzt der Münsteraner Rechtsmedizin, noch der Psychiater Dr. Detlef Teuber anschließen. Sie hatten den sechsfachen Vater Heinrich J. untersucht und unabhängig voneinander festgestellt, dass der Mann seine Behinderung nicht vorspiele. Der 55-jährige Ex-Bielefelder, der inzwischen von Bad Pyrmont nach Hameln umgezogen ist, kann sich, nachdem er sich vom Pkw überfahren ließ, nur noch mit Hilfe von zwei Krücken fortbewegen.
Psychiater Teuber und der zweite Sachverständige, Diplom-Psychologe Siegfried Binder, bescheinigten Heinrich J. gestern in ihren Gutachten, dass er der Hauptverdächtigen Birgit K. aus Schloß Holte-Stukenbrock über Jahre hinweg hörig gewesen sei. Der neurotisch-depressive, furchtsame und willensschwache Mann habe sich von der Frau sein Leben bestimmen und sich von ihr wohl auch zu den Taten treiben lassen.
Dabei soll die jetzt in der Untersuchungshaft sitzende 39-Jährige knapp 694 000 Euro kassiert haben. Insgesamt hatten die zwei geprellten Versicherungen 815 000 Euro gezahlt. Wo der Großteil des Geldes geblieben ist, das Heinrich J. für seine mehrfach gebrochenen Beine und den lädierten linken Arm bekommen hatte, wurde auch gestern beim dritten Prozesstag nicht geklärt. Die Hauptverdächtige Birgit K. schweigt dazu, Heinrich J. soll weitgehend leer ausgegangen sein. Die Mitangeklagten Christiane G. (46) aus Schloß Holte-Stukenbrock und der Bielefelder Gerhard J. (46) wollen 7000 beziehungsweise gut 1000 Euro erhalten haben.
Wie laienhaft die Taten aus Februar und April 2001 angelegt waren, erläuterte gestern der Rechtsmediziner Dr. Alfred Du Chesne. Heinrich J. hatte den ersten Unfall mit einem fallenden Schrank beim Möbeltransport, den zweiten mit einem Treppensturz über 18 Stufen erklärt. Das Fazit von Dr. Du Chesne: In beiden Fällen hätten die Verletzungen nicht mit dem vorgegebenen Geschehen überein gestimmt.
Die Pastorin, die gestern vor Gericht überraschend als Zeugin der Verteidigung auftrat, darf nach dem Eklat die im Gefängnis sitzende Birgit K. nicht mehr besuchen. Seit eineinhalb Jahren soll die Geistliche, eine Bekannte der Mitangeklagten Christiane G., vom Versicherungsbetrug gewusst haben. Vor elf Tagen hatte sie dann Birgit K. die Information von Christiane G. überbracht, dass Heinrich J. seine Gehbehinderung nur simuliere. Wie berichtet, waren Birgit K. und Christiane G. ein Liebespaar. - Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

Artikel vom 01.03.2005