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Fischer erlöst die Grünen:
»Das ist alles, liebe Freunde«

20 Minuten dauert die lang ersehnte Rede des Außenministers

Von Reinhard Brockmann
Köln (WB). Exakt fünf Minuten vor zwölf, am Samstag in Köln: Joschka Fischer, der »Superstar a.D.«/»Der Außergalaktische« (Der Spiegel), wagt sich von rechts aus der Deckung grüner Schilfpflanzen und tritt ans Rednerpult, um 20 Minuten lang »ein paar sehr klare Worte« zu sprechen.

»Liebe Freundinnen und Freunde, wer mich kennt, zum Wegducken tauge ich nicht«, startet Fischer seine Erklärung in eigener Sache. Inhalte grüner Politik haben angesichts des riesigen Medieninteresses am Visa-Thema kaum eine Chance, auch wenn das umfassendste und seit langem fundamentalistischte Wahlprogramm der NRW-Grünen zur Debatte steht.
Was habe man »in den letzten Wochen nicht alles lesen und hören müssen über Multikulti-Seeligkeit, über grüne Illusionen, Gutmenschen und Idealismus«, kuschelt sich Fischer an sein gespanntes Publikum heran. »Der Volmer-Erlass, was regelte er denn?« fragt Fischer und weiß - wen wundert«s - die Antwort: Im Rahmen ausländerrechtlicher Regelungen und Verfahren habe er nichts geändert, außer, dass ein gewisses Ermessen reisefreundlicher genutzt werden soll. »Das ist alles, liebe Freundinnen und Freunde«, ruft Fischer und findet den Satz so schön, dass er ihn nicht einmal wiederholt: »Das ist alles.«
Die folgenden Sätze entsprechen nicht ganz den Regeln einer geordneten Grammatik, werden meist nicht zuende geführt, hinterlassen aber den sicheren Eindruck: Rot-Grün hat eigentlich nur die Politik Helmut Kohls, aber eben anders betrieben zum Wohle der unterdrückten Völker Osteuropas und deren fast revolutionären Reiseverhaltens. »Es war doch das halbe Kabinett Kohl, das im Menschenrechtsausschuß saß«, bläst Joschka Warmluft unter die langsam auftauenden Delegierten. Besonders der »Rüttgers« werde sich noch daran erinnern, war der doch damals »intensiv gelobt« worden, aber »daran will man sich heute nicht mehr erinnern«, näselt Fischer in den gnädig anschwellenden Zuspruch des Publikums.
Es folgt eine Art Trennung von Amt und Mandat: »Die Partei muss sich für ihre Politik der Menschenrechtsorientierung, der Weltoffenheit, der Toleranz nicht verstecken.« Der Angeklagte spricht eine Formel der Vergebung, der Saal tobt.
Schließlich kommt das entscheidende »Ich«, auf das alle gewartet haben: »Ich habe zwei Fehler gemacht«. Im Herbst 99 seien Erlasse gekommen, die das »missbrauchsanfällige Instrument, vor allem der Reiseschutzversicherung, noch mißbrauchsanfälliger gemacht haben«. Und zweitens habe er »nicht schnell, nicht entschlossen und nicht umfassend genug als verantwortlicher Minister gehandelt.«
Jetzt ist es raus, Bärbel Höhn lehnt sich zurück, klatscht mit Gönner-Miene. »Das sind meine Fehler! Das ist meine Verantwortung. Die schiebe ich nicht ab an die Vorgängerregierung, nicht an Kabinettskollegen, nicht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kiew und in anderen Auslandsvertretungen, noch in der Zentrale, dafür habe ich einzustehen, liebe Freundinnen und Freunde. Und das sind auch nicht Fehler der Grünen Partei und ihrer Programmatik.« Wortreicher kann man »Ego me absolvo« nicht übersetzen.
Allerdings: Die Debatte »wer wusste wann was?« lehnt Fischer ab und bittet um Verständnis, »dass diese Details beim besten Willen nicht aus dem Gedächtnis gelöst werden können«. Und bevor jemand nachdenken kann, ob nicht doch ein Zettel mit einem Datum inzwischen hätte geschrieben werden können, geht Fischer zur Attacke über: »Da werden die Ukrainer generell als Kriminelle dargestellt«, ätzt er die Union an und zitiert ein Schreiben der Frauenhilfe Westfalen. Die hatte unter Hinweis auf ihre Trägerschaft der Beratungstelle »Nadeschda« in Herford am Donnerstag klargestellt, dass die Kiewer Verhältnisse keinen Einfluss auf die Zahl der Zwangsprostitution in Deutschland gehabt habe.
Das »ganze Volk der Ukraine als Kriminelle zu stigmatisieren, nur um innenpolitisch einen Wahlvorteil zu haben«, giftet Fischer und ist wieder ganz der alte Kämpfer. In Köln überzeugt er sein Publikum. Dass ihm die Zuständigkeit für die Visa-Sicherheit entzogen werden könnte, erwähnt er genauso wenig, wie er die Schäden durch Schwarzarbeit in ganz West-Europa auch nur streift, geschweige denn anerkennt.
Nein, »moralisch unanständig«, das sind stets die anderen. Am Ende nimmt der Großmeister internationaler Diplomatie doch nur die Kurve zum Provinzwahlkampfin NRW: »Wir müssen den Punkt erreichen, wo die Alleinerziehende einen Arbeitsplatz bekommt und die Agentur die Betreuungskosten übernimmt. Wo der Dauerarbeitslose aus der Sozialhilfe rauskommt und wieder in die Arbeit reinkommt, liebe Freundinnen und Freunde. Ich weiß, wie schwer das ist!«

Artikel vom 28.02.2005