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Mit kühler Distanz zu überirdischem Zauber

Grigory Sokolov im Pro Musica-Konzert umjubelt

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). In der kleinen Spitzengruppe der Pianisten von Weltrang spielt Grigory Sokolov ganz vorn mit. Nach viereinhalb Jahren gastierte der Ausnahmepianist jetzt einmal wieder im Rahmen der Pro Musica-Konzerte in Bielefeld.

Heftiger Applaus empfängt ihn in der nahezu ausverkauften Oetkerhalle schon vorab, doch davon lässt sich Sokolov kaum beeindrucken. Kurze Verbeugung und schon greift der Meister in die Tasten. Kein In-sich-Hineingehen vor Franz Schuberts gewaltiger Klaviersonate in A-Dur, die ihm mehr als Spielwiese für eine delikate Anschlagskultur zu dienen scheint, denn als Quell musikalischer Einfälle und Emotionen. Zügig, pointiert und mit trennscharfen Arpeggien weiß er im Eingangs-Allegro zu brillieren, bleibt aber innerlich irgendwie distanziert, fast etüdenhaft. Und dennoch: Sein nuancenreicher, delikater, zu jeder dynamischen Steigerung fähige Anschlag entfaltet eine unnachahmliche Magie und Anziehungskraft.
Im Andantino gesellt sich zu formaler Strenge und brillantem Spiel noch ein Rubato dazu. Und dann die Überraschung: Da scheinen sich Gefühle von Gebrochenheit und innerer Aufruhr geradezu zu materialisieren.
Überzeichnet pointiert geht Sokolov das Scherzo an. Im Trio gestaltet er musikalischen Einfälle wie Tennisbälle, die hin und her fliegen. Sokolovs melodischer Atem im Rondo hat zugleich etwas Bewusstes, Mechanisches. Wieder ist innere Distanz spürbar, ehe der Satz nach einer enorm ausgekosteten Generalpause ausklingt. 45 Minuten lang hat der Wundermann am Klavier gezaubert und verzaubert, ohne je wirklich fassbar zu sein.
Nach der Pause tauchte der Magier ein in die zarte Chopinsche Welt von Fantasie, Impromptu und Nocturne. Wieder entfaltet er spieltechnische Brillanz, etwa in der eingängigen Spielfigur, die er filigran, ehrlich, nichts verschleiernd ausspielt und vom langsamen Mittelthema kontrastvoll absetzt. Was in Folge immer wieder beeindruckt, ist die intensive Durchleuchtung der unterschiedlichen Stücke. Mal verstand es Sokolov so, eine bezwingende intime Atmosphäre zu schaffen (Nocturne in H-Dur, op. 62,1), dann wiederum brach Wut, Verzweiflung und Resignation hervor, wie in Polonaise-Fantasie in As-Dur, die unter seinen Händen zu einem spannenden Musikdrama geriet.
Der jubelnde Applaus honorierte einen Ausnahmepianisten, der in keine Schublade passt, der sich einer klassischen Einordnung entzieht und in seinen Interpretationen mirakulös und unfassbar wirkt. Einer auch, der beliebte Zugaben -ĂŠeinen Chopin-Walzer und einen Bachschen Geniestreich - in völlig neuem Geist servierte.

Artikel vom 28.02.2005