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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Die Geschichte, über die morgen in den meisten evangelischen Kirchen gepredigt wird, Markus 12, 41-44, trägt in der Lutherbibel die Überschrift »Das Scherflein der Witwe«. Damit ist ein geflügeltes Wort entstanden. Wer zu einer Sache »sein Scherflein beitragen will«, gibt damit zu verstehen: Viel kann ich nicht geben, da sind mir enge Grenzen gesetzt, aber das, worum es geht, halte ich für so wichtig, daß ich es doch, wenn auch nur mit meinen bescheidenen Mitteln, unterstützen möchte. Friedrich von Bodelschwingh d.Ä., auch »Vater Bodelschwingh« genannt, schätzte gerade diese »Scherflein« besonders hoch. Großspenden dagegen, »namhafte Beträge«, wie man auch sagt, waren ihm eigentlich nie ganz geheuer, weil sie, wie er meinte, »wenn die Kunde davon in die Öffentlichkeit drang, gar zu leicht die kleinen Bäche der Liebe verstopften«.
Um zwei Scherflein, »das macht zusammen einen Pfennig« geht es in der knappen neutestamentlichen Erzählung. Jesus beobachtet, wie in der prächtigen Schatzkammer des Tempels in Jerusalem viele reiche Leute ansehnliche Summen stiften. Dann aber kommt eine arme Witwe mit ihren dagegen lächerlich wirkenden beiden Kupfermünzen. In den Augen Jesu indessen hat sie mehr gegeben als alle anderen. Diese haben nur etwas von ihrem Überfluß abgezweigt; sie aber hat das losgelassen, was sie eigentlich zum Leben selber bitter nötig hatte.
Es gibt eine fragwürdige Tendenz, alles moralisch zu verstehen und überall den erhobenen Zeigefinger zu sehen. So mißverstanden, hätte Jesus die wohlhabenden Spender herabwürdigen oder ihnen einen Wink mit dem Zaunpfahl geben wollen: »Ihr tut nicht genug; nehmt euch gefälligst an dieser Frau ein Beispiel!« Ein solches Ansinnen hat Christus aber keineswegs. Auch will er mit dieser Bemerkung nicht einer ermatteten Spendenfreudigkeit auf die Sprünge helfen.
Die Pointe liegt vielmehr ganz woanders: Diese Frau erfreut sein Herz, weil sie es wagt, ganz aus dem Vertrauen zu Gott zu leben, und menschliche Absicherungen völlig relativiert. Sie kehrt also ein gängiges Lebensmodell einfach um und hält es mit den Vögeln unter dem Himmel und den Lilien auf dem Felde aus der Bergpredigt, die keine Vorsorge treffen und doch vom himmlischen Vater ernährt oder mit unübertrefflicher Schönheit ausgestattet werden.
Aber auch ein Nebenaspekt dieser Geschichte ist des Nachdenkens wert: Die Witwe spendet ihr Kleingeld aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einmal für einen sozialen Zweck. Nichts gegen soziale Zwecke, aber es gibt nicht nur diese. Anders auch als manches betagte Geburtstagskind, das seinem Pastor einen Schein mit der Bemerkung in die Hand drückt: »Sie wissen schon, wo Not ist«, denkt sie vermutlich überhaupt nicht an Not. Vielmehr wandert das Geld in die Kasse zur Unterhaltung des Tempels. Und da ist keine Not.
Vielen ist es anstößig, wenn jemand so etwas tut - nur aus Freude an Gott und an den »schönen Gottesdiensten des Herrn« (Ps. 27,4). Immer wieder trifft man auf die Auffassung, wonach soziale Belange vor allem anderen den Vorrang haben und Spenden nur dann vernünftig ausgegeben sind, wenn sie solchen Zwecken zufließen. Kirchengemeinde, die es noch wagen, etwa für eine schöne Orgel zu sammeln, für ein Geläute aus wertvollen Bronzeglocken oder ein Kunstwerk für ihr Gotteshaus in Auftrag geben, bekommen in aller Regel den Vorwurf zu hören, der auch im Jüngerkreis Jesu laut wurde, als eine Frau ihren Herrn vor seinem Tod mit einem enorm teuren Kosmetikum salbte: Was hätte man mit dem Geld nicht alles für die Armen tun können? Dieser Betrag wäre für dringlichere Zwecke doch wohl angebrachter gewesen.
Aber es ist die Frage, ob es wirklich human ist, ausschließlich ein solches Zweckdenken an den Tag zu legen. Die Folge könnte sein, daß ein Mensch sich selbst und andere letzten Endes dann auch nur noch daraufhin taxieren kann, ob sie imstande sind, irgendwelche Zwecke zu erfüllen.

Artikel vom 26.02.2005